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Jetzt mal ehrlich: 10 Fragen an mich von Birgit Oppermann

Birgit Oppermann habe ich im Rahmen der Blogdekade von The Content Society kennengelernt. In dieser Blog-Gemeinschaft haben wir uns zum Ziel gesetzt, während der Blogdekade (bis zu) 10 Artikel in 10 Tagen zu veröffentlichen. Diese Challenge fand ich faszinierend, allerdings habe ich mir für meine erste Teilnahme nur 5 Artikel vorgenommen. Ich kann mich ja bei der nächsten Blogdekade steigern. Entstanden sind eine Reihe fachlicher Artikel, aber auch mein 12 von 12 im Februar – ein Format, bei dem ich zum ersten Mal mitgemacht habe. Als weitere Idee entstand das Format, das ich in diesem Artikel verblogge.

Jetzt mal ehrlich: Meine Blog-Kollegin Birgit stellt mir 10 Fragen, die ich dann in diesem Artikel beantworte. Umgekehrt habe auch ich Birgit 10 Fragen zu ihrem Beruf als Texterin, Erwachsene mit ADHS, Hospizbegleiterin und Fantasy-Begeisterte gestellt. Wenn du nachlesen willst, was sie mir darauf geantwortet hat, schau einmal hier vorbei MAL EHRLICH: 10 INTERVIEWFRAGEN AN MICH VON SABINE LANDUA.

Jetzt aber zu Birgits Fragen an mich, die teilweise ganz schön herausfordernd waren. Viel Spaß beim Lesen!

1. Du hast dich entschieden, der Schule den Rücken zu kehren und individuell Kinder mit Lernschwierigkeiten zu begleiten. Was gefällt dir an dieser Art der Arbeit besser?

An meiner Arbeit als Lerntherapeutin liebe ich es, ganz individuell mit den Schülerinnen und Schülern arbeiten zu können. Wo früher in der Schule organisatorische Grenzen gesetzt waren, kann ich jetzt frei entscheiden, wie ich ein Kind am besten unterstützen kann. Ich arbeite immer einzeln mit einem Schüler oder einer Schülerin, so dass ich ganz individuell auf sie eingehen kann. War der Tag mal nicht so gut, kann ich das aufgreifen und wir suchen gemeinsam nach Alternativen. In der Regel kommen die Kinder aber mit einem Lächeln auf den Lippen zur Lerntherapie und wir haben gemeinsam viel Spaß beim spielerischen Lernen. Auch der Kontakt mit den Eltern ist in der Lerntherapie viel intensiver und viele Eltern sind dankbar für beratende Unterstützung. So habe ich das Gefühl, viel wirksamer arbeiten zu können, als das in der Schule mit ihren starren Vorgaben der Fall war. Schlussendlich arbeite ich als Lerntherapeutin nachmittags mit den Schülerinnen und Schülern, so dass ich vormittags etwas länger schlafen und in aller Ruhe die wichtigen Dinge des Tages erledigen kann. Das kommt meinem Biorhythmus sehr entgegen.

2. Was ist der wichtigste Tipp, den du Eltern geben kannst, wenn ihr Kind Schwierigkeiten in der Schule hat?

Frühzeitig Hilfe suchen und nicht den Kopf in den Sand stecken! Das Problem zu ignorieren und darauf zu hoffen, dass es sich noch „auswächst“ hilft nicht weiter. In der Regel verschlimmern sich die Lernprobleme dadurch und es geht viel wichtige Zeit verloren. Wenn also Eltern die Vermutung haben, dass etwas nicht so läuft, wie es sollte, sollten sie sich von Fachleuten beraten lassen. Diese sehen genau hin und können dann einschätzen, ob grundlegende Schwierigkeiten bestehen, die das Lernen erschweren. Man muss sich das vorstellen wie ein Haus: Ist das Fundament nicht gut ausgebaut, können die Stockwerke darauf nicht sicher aufgebaut werden. Eine Weile mag das gutgehen, aber irgendwann stürzt alles in sich zusammen. Daher lieber frühzeitig das Fundament prüfen und eventuell mit professioneller Hilfe ausbauen, damit weiteres Lernen darauf aufbauen kann.

3. Viele Kinder und Jugendliche, die zu dir kommen, sind sicher inzwischen sehr frustriert, weil es in der Schule nicht klappt. Wie schaffst du es, sie wieder zu motivieren und ihr Selbstbewusstsein zu stärken?

Die Stärkung der Persönlichkeit ist, neben dem Aufarbeiten von fachlichen Inhalten, ein wesentlicher Bestandteil der Lerntherapie. Wichtig ist dabei, dass es uns gelingt, eine gute Beziehung aufzubauen. Habe ich im Vorgespräch ein ungutes Gefühl, lehne ich die Zusammenarbeit daher auch manchmal ab. Das ist in den letzten 8 Jahren aber nur zweimal vorgekommen. In der Regel verstehen wir uns gut und die Kinder und Jugendlichen kommen gerne zu mir. Wir sprechen über die Misserfolge und überlegen, welche Strategien helfen könnten. In diesem Zusammenhang beschäftigen wir uns mit dem Growth Mindset und überlegen, wie wir unser Gehirn durch positive Gedanken beeinflussen können. Wir suchen aber auch ganz gezielt nach den jeweiligen Stärken, die als Ressourcen dienen können. Manchen Schülern fällt das am Anfang nicht leicht, weil sie auf das Wahrnehmen des Negativen getrimmt sind. Mit der Zeit wird dies aber immer einfacher und es gelingt vielen Schülern, ein positives Selbstbild zu entwickeln.

4. Hast du den Eindruck, dass sich Lese- und Rechenschwierigkeiten in den letzten Jahren häufen? Oder nimmt man solche Probleme heute einfach ernster?

Ich vermute, dass beides zutrifft. Zum einen wird in den Schulen immer weniger Zeit auf die Vermittlung wichtiger Basiskompetenzen verwendet. Eine Lehrerin erzählt mir kürzlich, dass die Erstklässler an ihrer Schule täglich 30 Minuten Mathematik und 30 Minuten Deutsch haben. Ein Teil davon muss noch dafür aufgewendet werden, Räume zu wechseln. Die effektive Unterrichtszeit ist damit mehr als zu gering! Auch kommen Schulanfänger heute teilweise mit weniger ausgebildeten Basiskompetenzen in die Schule. Laute hören und Reime finden, wie auch die Zahlwortreihe und das Zählen, wurden früher in vielen Kinderspielen geübt, die heute nicht mehr aktuell sind. Vorschulisches Spielen und die Teilhabe am Alltag bereiten Kinder auf die Schule vor. Fehlen hier wichtige Kompetenzen, kann das Lesen-, Schreiben- und Rechnenlernen nicht gut gelingen.
Zum anderen nehmen heute zum Glück viele Eltern und Lehrer Lernschwierigkeiten ernster. So kann früher überprüft werden, ob die subjektiv wahrgenommenen Schwierigkeiten auch wirklich relevant sind. Kinder mit Lernschwierigkeiten können so früher gefördert werden.

5. Was bedeutet integrative Lerntherapie und für wen ist sie wichtig?

Integrative Lerntherapie richtet sich an alle Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen, Schreiben oder Rechnen haben. Häufig sind dies Schüler, aber auch Erwachsene können eine Lerntherapie beginnen, wenn sie sich in den genannten Bereichen verbessern möchten. So z.B. Martina Rubbel, die ihr vielleicht aus der ZDF-Doku Buchstäblich leben kennt. Ihre Geschichte erzählt sie auf ihrem Instagram-Kanal.
Im Rahmen der Lerntherapie wird aber nicht nur am Lesen, Schreiben und Rechnen gearbeitet. Ein wichtiger Teil ist auch die Arbeit am Persönlichkeitsbereich. Viele Menschen mit Lernschwierigkeiten haben ein negatives Selbstbild, glauben, dass sie zu dumm sind, etwas zu lernen oder es sowieso nicht schaffen werden. Gerade viele Kinder sehen dann ihre eigenen Stärken nicht mehr und reduzieren sich auf das Negative. Hier setzt die Lerntherapie an, rückt die Stärken in den Vordergrund und vermittelt Strategien, wie mit den Schwächen umgegangen werden kann. Integrativ ist die Lerntherapie dann, wenn Ansätze aus verschiedenen Disziplinen einbezogen werden, z.B. aus der Psychologie, der Psychotherapie, aus Neurobiologie und Medizin, aus der Pädagogik und den jeweiligen Fachdidaktiken. Die eingesetzten Methoden sind dann ähnlich vielfältig, so dass die integrative Lerntherapie individuell auf jeden Einzelnen eingehen kann.

6. Findest du, es wird zu wenig über Schwierigkeiten wie Dyskalkulie oder LRS gesprochen? Sind diese Themen immer noch schambehaftet oder hat sich das inzwischen geändert?

Teilweise sind die Themen tatsächlich noch schambehaftet. Manche Eltern möchten z.B. nicht, dass ich mich mit den Lehrkräften der Schule austausche, damit diese nichts von der Lerntherapie erfahren. Offenheit ist aber der einzig richtige Weg. Dies versuche ich in Gesprächen zu vermitteln und wir finden dann immer eine gute Lösung. Toll fand ich, dass das ZDF in der Doku Buchstäblich leben das Thema aufgegriffen hat. Dies rückt das Thema LRS weiter in die Öffentlichkeit und es wurde deutlich, mit welchen Hürden Erwachsenen mit einer Lernstörung in Beruf und Alltag zu kämpfen haben. Tatsächlich wäre in diesem Format aber noch viel mehr Aufklärung möglich gewesen, so dass leider wichtige Chancen verpasst wurden.
In unserem Lerntherapeutennetzwerk haben wir uns es zur Aufgabe gemacht, über das Thema Lernstörungen aufzuklären. Auf Social Media posten wir daher unter #lerntherapeutenpower. Zusätzlich starten wir regelmäßig Netzwerkaktionen, um auf die Problematik aufmerksam zu machen. Aktuell läuft unsere Aktion zu schulischen Unterstützungsmöglichkeiten für Schüler mit LRS. So hoffen wir, mehr Menschen für die Problematik sensibilisieren zu können. Meine Kollegin Susanne Seyfried hat darüber hinaus einen tollen Artikel geschrieben: Gemeinsam Großes bewirken – LRS und Rechenschwäche geht uns alle an.

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7. Was müsste sich an Schulen ändern?

Eine ganze Menge! Vor einiger Zeit habe ich das Buch „Der tanzende Direktor“ gelesen. Darin erzählt eine Mutter vom neuseeländischen Schulsystem. Dieses wurde in den 1980er-Jahren radikal umgebaut und liegt nun im Bildungsranking weit vorn. Interessant fand ich, dass in Neuseeland die Ergebnisse der Bildungsforschung direkt in der Schule ankommen, indem Wissenschaftler Lehrkräfte vor Ort beraten. Diese nehmen die Vorschläge auf und passen ihren Unterricht entsprechend an. Außerdem gilt eine positive Fehlerkultur: „Fehler zeigen, dass dein Gehirn wächst.“ Davon sind wir in Deutschland weit entfernt. Bis Forschungsergebnisse in den Schulen ankommen, vergehen Jahrzehnte und vieles wird einfach mal in der Praxis ausprobiert, ohne dass wissenschaftliche Erkenntnisse dazu vorliegen. Das ist nicht lernförderlich. Auch der positive Blick auf Fehler müsste in unseren Schulen etabliert und jedes Kind auch wirklich entsprechend seiner Fähigkeiten gefördert werden. Multiprofessionelle Teams an Schulen wären da eine gute Möglichkeit. Meine Kollegin Susanne Seyfried setzt sich seit Langem aktiv dafür ein und hat eine Reihe positiver Beispiele aus ganz Deutschland gesammelt. Der Einsatz multiprofessioneller Teams kostet jedoch und so müssten finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Auch müsste sich das Bild in der Gesellschaft wandeln, dass eben nicht nur Lehrkräfte an einer Schule arbeiten, sondern auch Lerntherapeuten, Logopäden und alle anderen, die Kinder in ihrer Entwicklung unterstützen können.

8. Du schreibst gerade an deiner Masterarbeit. Worum geht es und wie kommst du voran?

In meiner Arbeit geht es um die Prävention von Rechenschwäche und inwieweit Schulbücher dabei unterstützen können. Dazu habe ich zwei Lehrwerke im Hinblick auf die Förderung mathematischer Basiskompetenzen verglichen. Eines davon ist super, aber tatsächlich nur in Bayern als Schulbuch zugelassen. Das andere ist weit verbreitet und setzt für die Kompetenzen vieler Schulanfänger viel zu hoch an. Der Unterricht geht damit an einem Großteil der Schülerinnen und Schüler vorbei und diese werden von Anfang an abgehängt. Tatsächlich ist mir das Schreiben der Arbeit, neben meinem normalen Beruf, ziemlich schwer gefallen. Ich konnte mich nach Abschluss der Lehrveranstaltungen nur sehr schwer motivieren, mich an das Schreiben der Arbeit zu setzen. Eine gute Erfahrung, denn so konnte ich nachspüren, wie es vielen meiner Schülerinnen und Schüler beim Lernen geht. Gegen Ende ging es aber tatsächlich besser mit dem Schreiben und so habe ich die Arbeit letzte Woche abgegeben.

9. Wie lädst du deine persönlichen Akkus auf?

Das ist ganz wichtig, denn die Arbeit mit meinen Schülerinnen und Schülern kostet Kraft. Andere bewundern mich immer wieder für meine Geduld, mit der ich mit den Lernenden arbeite. Wenn ich da aber nicht ausgeglichen bin, merke ich sofort, dass ich weniger aushalte. Zum Auftanken bin ich dann gerne draußen unterwegs oder genieße meinen Garten. Am liebsten lese ich in meiner Hängematte. Zusätzlich achte ich darauf, dass ich genug schlafe. „Aufladen“ kann ich mich aber auch im Austausch mit meinem Netzwerk. Wir sind über 30 Lerntherapeuten aus ganz Deutschland und Österreich, die sich im Lerntherapeutennetzwerk regelmäßig online treffen und austauschen.

10. Du hast im Lauf deines Lebens schon an vielen Orten gelebt, zumindest zeitweise. Welche drei Orte liegen dir am meisten am Herzen?

Das ist gar nicht leicht zu beantworten und wechselt auch mal wieder. Am liebsten bin ich tatsächlich am Meer – auch wenn ich da noch nie gewohnt habe. Meer bedeutet für mich aber „richtiges „Meer, also am liebsten Atlantik, wo es schöne Küsten gibt, ohne Reglementierungen und richtig schöne Wellen. Meine Lieblingsregion ist die Bretagne.
Von den Orten, an denen ich gewohnt habe, gefällt mir die Umgebung von Landau in der Pfalz am besten. Die Mischung aus Weinreben und Wald finde ich toll. Der Pfälzerwald bietet schöne Spazierwege und – ganz wichtig – eine große Zahl an Hütten, in denen man einkehren und lecker essen kann. Außerdem liegt es nah an der französischen Grenze. Die Lebensart in dieser Region gefällt mir einfach.
Vom Haus her war es in Aichach in Bayern am schönsten. Das war einfach toll aufgeteilt und schön geräumig. Der Garten ist allerdings in unserem jetzigen Haus am schönsten, schön groß und mit einem tollen Teich, an dem man im Sommer schön sitzen kann.

Vielen Dank, liebe Birgit für deine tollen Fragen! Im Austausch haben wir festgestellt, dass wir einiges gemeinsam haben. Zum Beispiel waren wir beide einmal Grundschullehrerin und arbeiten jetzt etwas anderes. Wenn du wissen möchtest, wie es bei Birgit dazu kam und was sie heute macht, dann schau einmal hier vorbei MAL EHRLICH: 10 INTERVIEWFRAGEN AN MICH VON SABINE LANDUA.

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2 Kommentare

  1. Birgit Oppermann

    Liebe Sabine,
    vielen Dank für deine spannenden Antworten! Beim Thema Schule sind wir uns sehr, sehr einig. Genau diese Probleme sehe ich auch. Ich mag deinen Ansatz sehr, der vor allem bestärkend und freudvoll wirken soll 🙂
    Viele Grüße
    Birgit

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