Der Umgang mit Fehlern ist immer wieder Thema, wenn es um das Üben in der Schule geht. Zum Aktionstag Legasthenie und Dyskalkulie am 30. September 2024 sammeln wir im Lerntherapeutennetzwerk konkrete Tipps zum Umgang mit Fehlern, die du dann nach Veröffentlichung hier nachlesen kannst.
Doch nicht nur in der Schule sind Fehler ein Thema. Auch Eltern sind immer wieder verunsichert, wie sie mit Fehlern beim Üben zuhause umgehen sollen. Konkret erreichte mich diese Frage:
„Können wir in den Ferien Stadt, Land, Fluss spielen oder sollen wir es lieber lassen, weil fehlerhafte Schreibungen auftreten könnten? Wie ist das eigentlich mit der Null-Fehlertoleranz?“
Was sind eigentlich „Fehler“?
Fehler werden häufig negativ wahrgenommen. Der DUDEN definiert „Fehler“ als das Abweichen vom Richtigen. Richtig ist in diesem Sinne das, was gesellschaftlich als richtig festgelegt wurde, also der gesellschaftlichen Norm entspricht. Diese Normen ändern sich immer wieder, weshalb heute auch Schreibungen wie „Schiffahrt“, „Beschluß“ und „Gemse“ als falsch gelten, seit die Rechtschreibung 1996 reformiert und somit an die gesellschaftlichen Bedürfnisse angepasst wurde (weitere Beispiele findest du auf der Seite des DUDEN). 2006 kamen weitere Regelungen dazu, was zeigt, dass die Art und Weise, was als richtige Schreibung angesehen wird, immer im Wandel bleibt. Fehler als ChanceGerade in der Schule werden Fehler aber als Versagen gesehen und werden mit schlechten Noten sanktioniert. Als Folge werden Schüler in den meisten Schulen dazu angehalten, Fehler möglichst zu vermeiden. Dabei ist es eine Illusion alle Fehler vermeiden zu können und auch vermeiden zu müssen.
In anderen Ländern herrscht eine größere Fehlertoleranz und auch einige Schulklassen in Deutschland, in denen anders mit Fehlern umgegangen wird, habe ich bereits kennengelernt. Fehler werden dort ganz anders betrachtet, nämlich als Chance, um daraus lernen zu können. Fehler sind wichtig, um durch Erfahrung Neues entdecken zu können. Nicht von ungefähr kommt das Sprichwort „Aus Fehlern wird man klug!“ Einen tollen Artikel zur positiven Fehlerkultur in der Lerntherapie findest du bei Nicole Gerbatsch.
Viele Erfindungen sind nur entstanden, weil etwas „falsch“ gemacht wurde. So entstanden das Feuerwerk, der Radiergummi oder das Penicillin durch unachtsames Abweichen von der Norm. Diese und weitere interessante Beispiele findest du z.B. im Buch „Geniale Fehler. Von glücklichen Unfällen & großartigen Missgeschicken“ von Soledad Romero Mariño und Montse Galbany.
Fehlertoleranz beim Üben
In der Lerntherapie arbeiten wir in der Regel an der Null-Fehler-Grenze, d.h. die Themen sind so gewählt, dass das das Kind sie mithilfe der erlernten Strategien fehlerfrei bearbeiten kann bzw. durch die Strategien eigene Fehler erkennen kann. In diesem Bereich gilt dann die Null-Fehlertoleranz, d.h. am Ende sollte alles aus diesem Übungsbereich richtig auf dem Papier stehen. Das gilt jedoch nicht für alle anderen Bereiche, denn es wäre utopisch alle Fehler verbessern zu wollen.
Nehmen wir mal das Beispiel Rechtschreibförderung: Wenn wir gerade an der Großschreibung arbeiten und dazu bestimmte Strategien erarbeitet haben, sollen diese auch angewandt werden (noch unbekannte Regeln natürlich nicht!). Die Großschreibung in diesem Bereich sollte dann fehlerfrei erfolgen bzw. Fehler korrigiert werden. Von einem Zweitklässler würde ich erwarten, dass er oder sie konkrete Nomen erkennt und diese großschreibt. Ich erwarte aber nicht, dass er oder sie Nominalisierungen erkennt, wie z.B. im Satz „Das Grün gefällt mir gut.“ Ebenso sieht es in Texten aus. Wenn der Schwerpunkt die Großschreibung ist, gilt bei Übungen Null-Fehlertoleranz, d.h. Großschreibungen sollten mithilfe bekannter Strategien verbessert werden. Alle anderen Fehlschreibungen, z.B. fehlendes Dehnungs-h oder Konsonantenverdopplung, werden hier nicht beachtet und nicht verbessert.
Prägen sich Fehler ein, wenn man sie nicht verbessert?
Da kann ich dich beruhigen. Die Vorstellung, dass man ein Wort nur oft genug richtig gesehen haben muss, um es richtig zu schreiben (und sich umgekehrt dann falsche Schreibungen einzuprägen) kann ich aus Erfahrung nicht bestätigen. Denn so müssten fast alle Kinder alle Wörter richtig schreiben können, denn meist treffen sie in Texten auf richtig geschriebene Wörter (wobei auch bei Druckwerken immer mal wieder Rechtschreibfehler vorkommen). Tatsächlich ist es so, dass Schüler mit Lernschwierigkeiten seltener aus positiven Beispielen die richtige Schreibung abstrahieren können und vielmehr von der direkten Unterweisung von Strategien profitieren (Hatz, H. & Sachse, S. (2014). Differenzielle Effekte des Schriftsprachlichen Anfangsunterricht. In: Sallat, S., Spreer, M. & Glück, C. W. (Hrsg.), Sprache professionell fördern. Kompetent, vernetzt, innovativ, S. 100-106. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag).
Auch durch das wiederholte Schreiben, z.B. das Wort fünfmal richtig schreiben, prägt sich das Wort nicht automatisch richtig ein. Vielmehr führt vor allem das Reflektieren über die Schreibung, also das Nachdenken über und Anwenden von Rechtschreibstrategien schlussendlich zur richtigen Schreibung. Null-Fehlertoleranz gilt daher nur bei expliziten Übungen und nur in dem jeweiligen Übungsbereich. Prüfe daher immer, was gerade der Schwerpunkt ist und wo es sich lohnt, über Fehler zu sprechen.
Fehlertoleranz beim Spielen
Wie sieht das jetzt in den Ferien, z.B. beim Spiel Stadt, Land, Fluss aus?
Beim Spielen steht das gemeinsame Erleben und der Spaß im Vordergrund. Werden Spiele gespielt, in denen geschrieben werden muss, liegt der Schwerpunkt daher nicht auf dem Üben eines bestimmten Rechtschreibbereichs, sondern auf der inhaltlichen Gestaltung des Spiels. Die Rechtschreibung würde ich daher nicht berücksichtigen. Null-Fehlertoleranz gilt bei „Stadt, Land, Fluss“ natürlich beim Anfangsbuchstaben, denn nur, wenn Wörter mit dem richtigen Anlaut gefunden werden, kann es Punkte geben. Schwierige Anfangsbuchstaben, wie z.B. „V“ würde ich weglassen oder die Schreibungen explizit thematisieren. Die Rechtschreibung thematisieren würde ich natürlich auch, wenn das Kind explizit nachfragt. Dann kann natürlich überlegt werden, welche Strategie helfen würde oder auch, wie das Wort richtig geschrieben wird, da bei Namen (Städte, Länder) Rechtschreibstrategien nicht immer hilfreich sind.
Ich würde übrigens empfehlen, mindestens eine weitere Kategorie einzufügen, die das mitspielende Kind bestimmen darf. So ist gewährleistet, dass die Chancengleichheit zwischen Kindern und Erwachsenen hergestellt wird. In der Kategorie „Fußballspieler“, die sich viele meiner Schüler immer wieder wünschen, sind sie mir natürlich haushoch überlegen – und da ist es mir egal, ob der Name korrekt geschrieben oder nur ungefähr zu erkennen ist, Hauptsache wir haben Spaß am Spiel!
Danke für diesen Beitrag. Ich wünsche mir, dass mehr Fehler gemacht werden, denn dann entstehen ganz wunderbare Dinge. Sogar Erfindungen sind durch Fehler entstanden. Fehler sind eine große Chance, denn sie bieten Gesprächsanlässe, insbesondere in Mathematik, wo es oft verschiedene Lösungswege gibt. Fehler sorgen dafür, dass Schüler voneinander lernen und über ihre Lösungswege nachdenken und darüber sprechen.
Über richtige Ergebnisse kann man nicht viel diskutieren. Wirkliche Gesprächs- und Lernanlässe bieten vielmehr die „falschen“ Ergebnisse. Das Verständnis, dass dies eine Lernchance darstellt, muss manchmal aber erst angebahnt werden.
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