Menü Schließen

5 Mythen bei LRS und Rechenschwäche – einmal schreddern bitte!

Von Lese-Rechtschreibschwäche oder Legasthenie und Rechenschwäche oder Dyskalkulie haben die meisten schon mal etwas gehört. Doch nicht immer entspricht das, was wir in den Medien, bei Bekannten oder in der Schule hören den Fakten. Vielmehr verbreiten auch vermeintliche Fachleute zahlreiche Mythen, die wenig mit der Realität zu tun haben. Einige habe ich hier aufgenommen und Argumente gesammelt, diese zu entkräften.

Legasthenie gibt es nicht – das Kind ist nur faul

Das ist eine Aussage, die ich leider auch von pädagogisch geschultem Personal immer wieder höre. Damit man in Gesprächen dem gezielt entgegentreten kann, hier einige Fakten:

  • Legasthenie wird im ICD-10 (Manual zur Diagnostik von Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation) unter F81 „umschriebene Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten“ aufgeführt und ist somit weltweit anerkannt.
  • Auch geht man davon aus, dass LRS zu einem gewissen Teil erblich bedingt ist und über das Zusammenspiel verschiedener Gene vererbt wird. Die Forschung dazu hält noch an.
  • Die erblichen Voraussetzungen in Verbindung mit verschiedenen Umweltfaktoren führen dazu, dass grundlegende Fertigkeiten nicht oder verspätet erworben werden. Das Lesen- und Schreibenlernen wird so erschwert.
  • Vermehrtes Üben am Schulstoff, z.B. der Lernwörter, hilft da nicht weiter, da wesentliche Grundlagen fehlen.
  • Kinder mit einer Legasthenie sind meist alles andere als faul! Sie verbringen einen Großteil ihrer Freizeit mit ihren Hausaufgaben und mit Üben für die Schule. Damit sind sie mehrere Stunden am Tag beschäftigt, nur, um den Anforderungen der Schule gerecht zu werden. Misserfolge wiegen dann doppelt schwer, weil das Kind schon all seine Ressourcen investiert hat.

LRS kann man erst am Ende der zweiten Klasse feststellen

Schließlich hat eine Lese-Rechtschreibschwäche ja mit Lesen und Schreiben zu tun. Sie kann demnach erst dann festgestellt werden, wenn der Lese-Schreib-Lehrgang abgeschlossen sein sollte. Das höre ich immer wieder, aber auch das ist falsch!

  • Lesen und Schreiben baut auf Basiskompetenzen auf, die bereits vorschulisch erworben und zu Beginn der ersten Klasse ausgebaut werden sollten. Dies ist v.a. die phonologische Bewusstheit, also das Verständnis für Reime und Gliederung von Worten in Silben, als auch die Fähigkeit, Laute herauszuhören, ohne dass bereits die Buchstaben bekannt sind. So kann ich bei „Fisch“ z.B. hören, dass das Wort aus den Lauten F – I – SCH zusammengesetzt wird. Erst wenn Kinder Laute sicher beherrschen, können diese mit der Buchstabenform verbunden und Lesen und Schreiben gelernt werden.
  • Eine Förderung, die erst am Ende der zweiten Klasse einsetzt bedeutet, dass das Kind zwei Jahre im Lese-Schreiblehrgang verpasst hat. Das Kind war zwar anwesend, konnte aber von dem Lehrgang nicht profitieren, da wichtige Grundlagen fehlen.
  • Grundlegende Schwierigkeiten können bereits zu Beginn der ersten Klasse festgestellt werden. Verantwortungsvolle Lehrkräfte wissen über die Lernvoraussetzungen Bescheid und schauen genau hin, ob diese bei ihren Schülern vorhanden sind. Um nichts zu übersehen, kann ein Screening der Basiskompetenzen der gesamten Klasse helfen. So können anschließend Schüler mit Auffälligkeiten gezielt gefördert werden. Welche Arten der Diagnostik es gibt, kannst du in meinem Artikel Was ist eine pädagogische Diagnostik und was testet die Kinderpsychologie nachlesen.
  • Manchmal fällt tatsächlich erst später auf, dass Kinder grundlegende Schwierigkeiten haben. Dies ist dann der Fall, wenn Kinder z.B. durch Auswendiglernen geschickt kompensieren können. Daher ist es bei jeder Überprüfung wichtig, genau hinzuschauen. Beim Lesen sollten z.B. nicht nur bekannte Wörter, sondern auch Quatschwörter verwendet werden. Auch ist es immer wichtig, das Kind nach seinem Lösungsweg zu fragen.

Möchtest du regelmäßig auf dem Laufenden bleiben? Dann abonniere gerne meinen Newsletter.

Eine Dyskalkulie zählt nur in der Grundschule

Denn in der weiterführenden Schule kann schließlich der Taschenrechner verwendet werden. Und dann ist alles gut?

  • Tatsächlich betrifft eine Rechenschwäche überwiegend die grundlegenden mathematischen Fertigkeiten. Fehlen mathematische Basisfertigkeiten, also das Verständnis für Mengenvergleich und Mengenrelationen, das sichere Zählen und das Verständnis, dass Zahlen aus anderen Zahlen zusammengesetzt werden können, können Grundrechenarten nicht sicher aufgebaut werden.
  • Fehlt ein grundlegendes Verständnis, fehlt auch die Verknüpfung von Umwelt und Zahlen. Da steht dann zwar eine Rechenaufgabe, was diese aber in der Realität bedeutet, ist dann nicht klar. Mein Lieblingsbeispiel ist dazu immer das 1×1. In der Realität ist ein großer Unterschied zwischen 4×6 und 6×4: Gehe ich 4x in den Keller und hole jeweils 6 Flaschen Wasser hoch oder gehe ich 6x und nehme jeweils nur 4 Flaschen mit. Ich werde den Unterschied körperlich spüren.
  • Um Aufgaben zu finden und in den Taschenrechner einzugeben, benötige ich genau dieses Verständnis. Außerdem muss ich auch prüfen können, ob das Ergebnis möglich sein kann. Wie oft vertippt man sich und es kommt ein völlig absurdes Ergebnis heraus – das muss ich erkennen können.
  • Nachgewiesen ist, dass sich fehlende mathematische Basiskompetenzen auch noch auf die Leistungen in der 5.-8. Klasse auswirken. Schüler lösen auch dann noch viele Kopfrechenaufgaben zählend oder haben sich ihre eigenen Strategien zurechtgelegt, die manchmal funktionieren, manchmal aber auch nicht.
  • Fakt ist, dass die schulrechtlichen Regelungen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich sind. So gibt es einige Bundesländer, die einen Notenschutz bei Dyskalkulie in der Grundschule gewähren, in der weiterführenden Schule jedoch nicht. Doch auch dann gilt die Möglichkeit, betroffene Schülerinnen und Schüler bestmöglich zu fördern und eventuell einen Nachteilsausgleich zu gewähren.

Bei einer Legasthenie oder Dyskalkulie kann man nichts machen

Das ist halt so – wenn man eine Diagnose hat, dann hat man das eben und es bleibt ein Leben lang.

  • Auch wenn Legasthenie und Dyskalkulie zum Teil vererbt werden, heißt das noch lange nicht, dass man eine LRS oder Rechenschwäche entwickeln muss. Denn auch die Umwelt hat einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung! Sind die Bedingungen für die kindliche Entwicklung optimal gestaltet, können auch Kinder mit der Veranlagung für Legasthenie oder Dyskalkulie lesen, schreiben und rechnen lernen, ohne Lernschwierigkeiten zu entwickeln. Umgekehrt heißt dies, dass man möglichst frühzeitig feststellen sollte, wenn es Schwierigkeiten in diesem Bereich gibt, um zeitnah fördern zu können.
  • Umgekehrt heißt das aber nicht, dass man später nichts mehr machen könnte. Lernen kann man in jedem Alter. Wenn du Ideen zum spielerischen Üben suchst, schau dir mal mein Freebie Flashcard Fun an. Auch im Umgang mit Lernschwierigkeiten kann man immer dazulernen. Je mehr sich die Schwierigkeiten verfestigt haben, desto schwieriger wird es natürlich am Anfang werden. Ein Achtklässler, der Schwierigkeiten beim Addieren hat, wird genauso wie ein Zweitklässler die Zahlzerlegung üben müssen, muss sich also nochmal ganz an den Anfang der Schulmathematik begeben. Das ist nicht immer einfach und muss besprochen werden. Auch müssen dann jahrelang genutzte, aber nicht sinnvolle Strategien, über Bord geworfen und neue Strategien gelernt werden.
  • Manchmal ist die Motivation, etwas Neues dazuzulernen oder etwas zu ändern, mit zunehmendem Alter höher, weil man dann vielleicht sieht, wofür man bestimmte Dinge im Leben braucht. Ein tolles Beispiel ist Martina Rubbel, bekannt aus der ZDF-Dokumentation „Buchstäblich leben“. Sie hat im Erwachsenenalter noch einmal eine Lerntherapie gemacht, um mit dem Schreiben besser zurechtzukommen. Auf ihrem Instagram-Kanal berichtet sie von ihren Erfahrungen.

Wenn du oder dein Kind Unterstützung bei LRS und Rechenschwäche suchen, kontaktiere mich gerne!

Kinder schon so früh zu testen ist furchtbar, sie müssen doch Zeit haben, sich zu entwickeln

Eine Diagnose zu bekommen, bedeutet für manche eine Stigmatisierung. Das ist meiner Meinung nach jedoch die falsche Sichtweise.

  • Früh zu schauen, ob alle Lernvoraussetzungen gegeben sind bedeutet, ein Kind bei Bedarf frühzeitig fördern zu können. So hat das Kind von Anfang an die Chance in der Schule mitzukommen und verpasst nicht mehrere Jahre Lernzeit. Frühe Diagnostik ist daher positiv zu sehen und trägt dazu bei, dem Kind die besten Entwicklungschancen zu ermöglichen. Dies widerspricht nicht dem Gedanken, dem Kind Zeit zum entwickeln zu geben. Wir sorgen als Erwachsene lediglich dafür, dass die Umgebung optimal gestaltet wird.
  • Achten wir nicht auf frühe Anzeichen einer Legasthenie oder Dyskalkulie verpasst das Kind wichtige Lernchancen. Oft macht es viele negative Lernerfahrungen und verinnerlicht diese schließlich als Merkmal der eigenen Person (für Mathe bin ich zu dumm). Dies kann schwerwiegende Folgen haben und zu Schulunlust, Schulverweigerung, somatischen Schmerzen und psychischen Beeinträchtigungen bis hin zur Depression führen.
  • Eine Diagnose kann für viele auch eine Erleichterung sein, besonders dann, wenn die zuständige Fachperson dies kindgerecht erklärt. So wird deutlich, das der Schüler oder die Schülerin nicht „zu dumm“ ist, z.B. die Lernwörter zu lernen, sondern dass es Hindernisse gibt, die mit dem Üben gar nichts zu tun haben. Den meisten Kindern hilft das Bild vom Haus: Schule und Üben für die Schule findet häufig im Dachgeschoss, mindestens aber in den oberen Stockwerken statt. Wenn das Fundament oder die Basis aber noch nicht sicher aufgebaut sind, ist es normal, dass das Haus einstürzen wird, egal wie schön ich versuche das Dach auszubauen.
  • Ob eine Diagnose stigmatisiert hängt also ganz entscheidend davon ab, wie wir damit umgehen!

Kennst du weitere Mythen bei LRS oder Rechenschwäche oder wurdest bereits damit konfrontiert? Schreibe mir gerne einen Kommentar oder eine Mail, damit ich sie im Artikel ergänzen kann.

Jetzt habe ich doch tatsächlich meinen Lieblingsmythos vergessen: „Das wächst sich aus!“ Diesen und weitere Mythen rund um LRS und Rechenschwäche findest du meiner Kollegin Ute Temel Es ist zum Haare raufen – 4 Mythen rund um Lernstörungen. Schau gerne einmal vorbei!

Wenn du wissen willst, warum eine LRS häufig so lange übersehen wird, lies gerne in diesem Blogartikel weiter.

Ähnliche Beiträge

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner