Immer wieder werde ich gefragt, ob in den Ferien eine Lernpause sein soll oder trotzdem geübt werden muss. Diese Frage ist natürlich nicht einfach so zu beantworten, denn es spielen viele Aspekte mit hinein: War es ein langes, anstrengendes Schuljahr? Sind die Kinder (und auch die Eltern) erschöpft? Werden die Ferien als Chance gesehen, mal in Ruhe etwas arbeiten zu können? Welches Verständnis von „Lernen“ haben wir eigentlich?
Ferien sind zur Erholung da!
Erstmal hat jeder ein Recht auf Erholung! Das gilt auch und ganz besonders für Schüler, die mit dem Lernen Schwierigkeiten haben. Denn sie haben während des Schuljahres viel mehr Zeit in das Lernen investieren müssen. Täglich haben sie länger an den Hausaufgaben gesessen und zusätzliche Zeit für das Üben an ihren Lernschwerpunkten investieren müssen. Das kostet Kraft und die Energiereserven müssen in den Ferien erstmal wieder aufgefüllt werden. Dies gilt natürlich ebenso für Eltern, die viel Überzeugungsarbeit leisten und hilfreich zur Seite stehen mussten, damit ihre Kinder sich überhaupt auf das (zusätzliche) Lernen einlassen konnten.
Immer wieder höre ich von Lehrern, die empfehlen, in den Ferien täglich 30 Minuten zu üben, um im Lernstoff aufzuholen. So sehr ich das Anliegen dahinter verstehen kann, kann ich die Forderung in dieser Form nicht nachvollziehen. Wechseln wir einmal die Perspektive: Welche Lehrkraft hat Lust, in den Ferien täglich eine Stunde am Schreibtisch für die Schule zu arbeiten? Welcher Erwachsene verbringt seinen Urlaub damit, täglich für seinen Job zu arbeiten? Wohl eher keiner. Jeder hat Anrecht auf Urlaub und damit Erholung vom Alltag!
Chance, in Ruhe Versäumtes nachzuholen?
Jeder Sportler und jeder Musiker weiß, dass nur durch Training die Fertigkeiten in einem bestimmten Bereich verbessert werden können. Je mehr ich übe, desto leichter fallen mir bestimmte Abläufe, desto einfacher wird es für mich. Das gilt natürlich auch für schulische Basisfertigkeiten, wie z.B. das Lesen, Schreiben und Rechnen. Auch hier macht Übung den Meister – vorausgesetzt, es wird auch richtig geübt, d.h. es wird genau da angesetzt, wo der Schüler oder die Schülerin gerade steht. Dazu müssen die Übungsschwerpunkte genau bekannt sein und Übungen genau darauf abgestimmt sein. Im Sport oder beim Erlernen eines Musikinstruments ist das eine Selbstverständlichkeit. Beim schulischen Lernen wird oft das geübt, was ein Kind in dieser Altersstufe können müsste, bzw. was im Unterricht gerade „dran“ ist. Übertragen auf Sport oder Musikinstrument würde das heißen: Du bist jetzt schon x Jahre dabei, deshalb musst du dieses Musikstück jetzt spielen bzw. so weit springen können. Absurd, oder?
Die Ferien bieten oft die Zeit und die Möglichkeit, ohne den zusätzlichen Schulstress zu üben und damit weiter aufzuholen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn ein Übungspartner zur Verfügung steht, der ebenso dazu bereit ist. Bleibt nur wenig gemeinsame Familienzeit und ist das Kind den Rest der Zeit anderweitig betreut, bietet sich diese Möglichkeit häufig nicht. Dann sollte die Familienzeit als Erholungszeit genutzt werden.
Die Frage nach dem „Lernen“ in den Ferien beantworte ich daher ganz klar mit JEIN! Denn es kommt immer darauf an, was man unter „Üben“ versteht und wie es gestaltet werden kann.
Was ist Lernen überhaupt?
Mit meinen Schülern habe ich das Thema in der letzten Woche diskutiert und für viele bedeutet „lernen“, sich etwas anschauen und auswendig lernen (z.B. Vokabeln) oder Arbeitsblätter bearbeiten am Schreibtisch. Für einige gab es von der Schule Ferienhefte mit nach Hause bzw. die Ansage, was in den Arbeitsheften nachgeholt werden soll. Hierzu ein klares NEIN! Niemand hat in den Ferien Lust, Arbeitsblätter abzuarbeiten.
„Lernen“ ist aber viel mehr, denn wir lernen täglich neue Dinge und zwar ganz nebenbei, ohne dass wir dies als „Lernen“ empfinden. Schon als Kleinkind lernen wir durch Imitation, d.h. durch Nachmachen, was wir bei anderen beobachten. Dies geschieht meist unbewusst. Aber auch bewusst lernen wir durch Nachmachen, wozu sonst gäbe es die vielen Anleitungsvideos auf YouTube, die uns alles Mögliche erklären. Anders als meine Schüler dies sehen, bezieht sich „Lernen“ damit nicht nur auf schulische Inhalte und direkte Instruktion. Zu diesem Thema veranstalte ich im Juli und August 2024 eine Blogparade. Wenn du Lust hast daran teilzunehmen, kannst du hier weiterlesen: Lernabenteuer jenseits des Klassenzimmers.
Wie kann das Lernen in den Ferien gestaltet werden?
Die Sommerferien sind recht lang. Wenn die Voraussetzungen entsprechend gegeben sind, d.h. Erholungspausen eingehalten werden, ausreichend Zeit und Lernpartner zur Verfügung stehen, die Übungsschwerpunkte bekannt sind und entsprechende Materialien zur Verfügung stehen, spricht aus meiner Sicht nichts gegen „Lernen in den Ferien“.
Häufig kann dies spielerisch geschehen und hat damit wenig mit Schreibtisch und Arbeitsblättern zu tun. Einige meiner Schüler haben sich Spiele überlegt, wie sie etwas üben können und trotzdem dabei Spaß haben. Sehr beliebt scheinen da Übungen in Verbindung mit Wasser zu sein:
- Ein Schüler berichtete, dass er das 1×1 im Pool üben will. Beim Untertauchen zeigt sein Partner eine Anzahl von Fingern (z.B. 7) und beim Auftauchen muss er dann das passende Ergebnis der vorher vereinbarten Malreihe nennen. Ist das Ergebnis richtig, wird getauscht.
- Ein anderer Schüler hat sich ein Spiel mit Wasserpistolen ausgedacht. Er möchte Rechtschreibstrategien wiederholen, z.B.: Schreibe ich das Wort mit -s-, -ss- oder -ß-? Dazu schreibt er diese 3 Kombinationen mit Kreide auf den Weg, zieht immer eine passende Karte aus seiner Lernwörterbox oder lässt sich ein Wort ansagen. Die richtige Lösung darf er dann mit der Wasserpistole dreimal anschießen. Ist eine Lösung ganz verschwunden, endet das Spiel.
- Eine andere Schülerin möchte Bingo mit Zehnerzahlen spielen, ob am Tisch oder mit Kreide auf dem Boden, wusste sie noch nicht.
Du siehst, es gibt viele Möglichkeiten in den Ferien etwas zu üben und trotzdem Spaß zu haben. Wenn du weitere Anregungen brauchst, findest du bei Lernart – Ute Temel tolle Materialien zum Lesenüben. Susanne Seyfried hat in ihrem Blogbeitrag 21 Spiele für mehr Mathefreude zusammengestellt.
Lernen in den Ferien oder nicht, ist immer Definitionssache und die Frage, wie es gestaltet werden kann. Somit ist es letztendlich eine Entscheidung, die jeder für sich selbst treffen muss. Wie sind deine Erfahrungen? Schreibe sie gerne in die Kommentare.
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