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Rechenschwäche, Rechenstörung, Dyskalkulie – was ist das und wie erkenne ich es?

Wenn es um Schwierigkeiten beim Rechnen geht, liest und hört man immer wieder viele Begriffe: Rechenschwäche, Rechenschwierigkeiten, besondere Schwierigkeiten beim Rechnenlernen, Rechenstörung, Dyskalkulie. Hier kann man schnell den Überblick verlieren. Was es mit diesen Begriffen auf sich hat und woran man wirkliche Schwierigkeiten beim Rechnenlernen erkennen kann, versuche ich im folgenden Artikel zu klären.

Unterschiedliche Begrifflichkeiten und Bedeutungen

Um es vorab ganz einfach zu sagen: Meist werden all die oben genannten Begriffe synonym verwendet und meinen meist das Gleiche – gravierende Schwierigkeiten beim Rechnen. Wieso sind jetzt so viele unterschiedliche Begriffe für ein und dieselbe Sache im Umlauf? Das erklärt sich daraus, dass sich unterschiedliche Fachdisziplinen mit den Schwierigkeiten im Rechnen beschäftigen. Jede Disziplin hat ihre eigenen Begrifflichkeiten geprägt.

Besondere Schwierigkeiten beim Rechnenlernen ist ein Begriff aus dem schulischen Kontext. Er wird in den Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz und in den Schriften zum Nachteilsausgleich in den verschiedenen Bundesländern verwendet.

Der Begriff Dyskalkulie findet im medizinischen Kontext Verwendung und wird im Rahmen einer Überprüfung beim Kinder- und Jugendpsychologen als Diagnose nach ICD-10 oder ICD-11 (Manual zur einheitlichen Klassifikation von Diagnosen) gestellt. Zur Diagnose Dyskalkulie war lange Zeit die Diskrepanz zur Intelligenz ein wesentliches Kriterium. Die Diagnose wurde nur dann gestellt, wenn das Kind bei normaler Intelligenz große Schwierigkeiten beim Rechnen hatte. Dieses Kriterium ist zunehmend in der Kritik und wird auch von der aktuellen S3-Leitlinie Diagnostik und Behandlung der Rechenstörung nicht mehr zur Anwendung empfohlen.

Rechenschwäche dagegen wird v.a. im pädagogisch-therapeutischen Bereich verwendet und beschreibt die gleichen Schwierigkeiten, meist jedoch unabhängig von der festgestellten Intelligenz. Gelegentlich wird mit dem Begriff „Rechenstörung“ eine qualitative Unterscheidung zur „Rechenschwäche“ vorgenommen. „Rechenstörung“ meint dann eine gravierende Störung im Gegensatz zur leichteren „Rechenschwäche“. Doch auch hierauf kann man sich nicht verlassen. Wenn man es ganz genau wissen will, muss man immer das Gegenüber fragen, welche Definition des jeweiligen Begriffs dahinter steckt.

Meine liebe Kollegin Ute Temel hat mich darauf hingewiesen, dass für Österreich mit den neuen Handreichungen des Bundesministeriums zum schulischen Umgang mit Rechenschwierigkeiten die Begriffe klarer definiert wurden. Rechenschwierigkeiten sind damit als Oberbegriff zu Rechenschwäche und Rechenstörung zu sehen. Dabei werden Rechenschwäche und Rechenstörung nicht qualitativ unterschieden, vielmehr entscheidet, welche Profession die Diagnose stellt. Rechenschwäche ist demnach eine pädagogische Diagnose, die durch die Lehrkraft oder einen Lerntherapeuten gestellt werden kann. Die Rechenstörung ist im Gegensatz dazu eine klinische Diagnose und wird von medizinischem Fachpersonal gestellt.

Ich hoffe, dass sich mit der Zeit diese Definition auch für Deutschland durchsetzen wird. Denn egal, wie man es nennt, es bestehen Schwierigkeiten beim Erwerb der Rechenfertigkeiten.

Welche Symptome verstecken sich hinter den genannten Begriffen?

Im Wesentlichen meinen alle Begriffe grundlegende Schwierigkeiten in Mathematik. Die festgestellten Schwierigkeiten beziehen sich im Wesentlichen auf grundlegende mathematische Fähigkeiten. In der Regel fallen diese Schwierigkeiten bei den Grundrechenarten auf, haben ihre Ursache jedoch häufig noch viel früher in der mathematischen Entwicklung. Diese beginnt nicht erst mit dem Eintritt in die Schule, sondern noch viel früher. Die grundlegende Fähigkeit zum Mengenvergleich ist angeboren. So können schon Säuglinge kleine Mengen unterscheiden. Im Laufe der Entwicklung kommen dann weitere wesentliche Fähigkeiten hinzu, die Voraussetzung für das spätere Rechnen in der Schule sind:

Kinder lernen die Zahlwortreihe und dass beim Zählen jedem zu zählenden Objekt genau ein Wort zugeordnet werden muss. Das letztgenannte Wort steht dann für die Anzahl der gezählten Objekte. Auch wird eine Menge mehr, wenn etwas hinzugefügt wird und weniger, wenn wir etwas wegnehmen. Später lernen Kinder, dies auch auf Zahlen zu übertragen. Eins mehr oder eins weniger ergeben die Nachbarzahlen. 5 kann aufgeteilt werden in 3 und 2 und daraus auch wieder zusammengesetzt werden kann. 

Das klingt für uns jetzt vielleicht banal, aber es sind wesentliche Entwicklungsschritte, die nicht alle Kinder bis zum Eintritt in die Schule erreichen. Hinzu kommt, dass diese Entwicklungsschritte für jeden Zahlenraum neu erarbeitet werden müssen. So gehen wir oft davon aus, dass Zweitklässer die Zahlenreihe bis 100 können. Wenn wir aber genau hinschauen, stellen wir oft fest, dass dies nicht der Fall ist. Viele Kinder haben große Schwierigkeiten beim Rückwärtszählen über den Zehner (was kommt vor 60) oder beim Zählen in Zweierschritten (13, 15, 17…). Bevor diese Basis aber nicht gelegt ist, können Kinder in diesem Zahlenraum auch nicht rechnen. 

Woran kann ich Schwierigkeiten beim Rechnenlernen erkennen?

Mathematische Basiskompetenzen

  • Probleme beim Aufsagen der Zahlwortreihe ab einer bestimmten Zahl vorwärts / rückwärts
  • Probleme beim Aufsagen der Zahlwortreihe in Schritten (16, 18, 20, … oder 13, 15, 17, …, Zählen in Zehner- oder Hunderterschritten)
  • Schwierigkeiten beim Mengenvergleich (mehr / weniger) oder der Mengenkonstanz (Mengen ändern sich nur, wenn ich etwas wegnehme / hinzufüge, nicht, wenn ich nur anders anordne)
  • Der Vergleich weit entfernter Zahlen gelingt nicht (Was ist mehr 5 oder 20?)
  • Nachbarzahlen können nicht nach mehr oder weniger unterschieden werden
  • Probleme beim Bestimmen von Anzahlen (Eins-zu-Eins-Zuordnung beim Abzählen)
  • Fehlendes Verständnis dafür, dass Mengen aus Teilmengen bestehen und aus diesen zusammengesetzt werden können (Teil-Ganzes-Konzept)
  • Fehlende Zahlvorstellungen, z.B. Finger- oder Würfelbilder
  • Der Vergleich von Nachbarzahlen (eins mehr / weniger) gelingt nicht
  • Fehlendes Verständnis der Zahlzerlegungen (5 kann zusammengesetzt sein aus 3 und 2, aber auch aus 4 und 1 oder 5 und 0)
  • Probleme beim Verständnis des Stellenwerts (37 ist etwas anderes als 73, denn es kommt auf die Stelle an, an der die Zahl steht)

Verständnis in den Grundrechenarten

  • Zählendes Rechnen (entweder sichtbar mit den Fingern oder „unsichtbar“ durch leichtes Antippen oder Zählen in der Vorstellung), häufig kommt es dabei zu Verzählungen um 1
  • Die Automatisierung der Aufgaben des kleinen 1+1 gelingt nicht, stattdessen muss jede Aufgabe wieder neu berechnet / abgezählt werden

Was tun bei Rechenschwierigkeiten?

Bei einer Rechenschwäche (oder welchen Begriff man auch immer verwenden mag), ist es erforderlich die entsprechende Basis zu legen. Das „Haus der Mathematik“ muss von unten aufgebaut werden. Erst müssen Kinder sicher zählen können, ein Verständnis für die Mengenzerlegung und die Zerlegung der kleinen Zahlen im Zahlenraum bis 10 entwickeln, bevor sie überhaupt mit dem Rechnen beginnen können. In der Schule wird dies leider häufig nicht berücksichtigt und auch viele Mathematiklehrwerke steigen oft zu hoch ein. Kinder mit fehlenden mathematischen Basisfertigkeiten können dies eine Zeitlang kompensieren. Häufig sind sie zählende Rechner, doch irgendwann kommen sie mit ihren Strategien nicht weiter. Eine Rechenschwäche oder Dyskalkulie wird daher häufig erst in der 2. Klasse oder noch später festgestellt. Bis dahin ist viel wertvolle Zeit verloren gegangen. Vielen Schülern fällt es dann auch schwer, sich von ihren lieb gewordenen, aber falschen Strategien, zu verabschieden. Es lohnt sich daher, frühzeitig genau hinzuschauen!

Viele Kinder sind sehr geschickt darin, ihre Schwierigkeiten zu verbergen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die mathematischen Basisfertigkeiten nicht abgeprüft werden, sondern direkt mit dem Rechnen begonnen wird. Hier lernen viele Kinder Aufgaben auswendig, ohne zu verstehen, welche Bedeutung dahintersteckt. Oder sie bleiben zählende Rechner und verwenden die Finger so geschickt, dass es nicht auffällt (weil ihnen gesagt wurde, sie dürfen nicht mehr mit den Fingern rechnen). Es ist daher besonders wichtig, immer wieder nachzufragen: Wie rechnest du? Zeig mir mal mit den Plättchen, was 4 + 2 = 6 bedeutet.

Wie kann ich mein Kind fördern?

Einige der oben genannten Punkte treffen bei deinem Kind zu? Du bist unsicher, ob die Schwierigkeiten deines Kindes nur vorübergehend sind oder grundlegende Fertigkeiten betreffen? Dann lass dich lerntherapeutisch beraten! 

Du kannst bei mir ein SOS-Gespräch buchen, in dem wir deine allgemeinen Fragen klären oder wir vereinbaren eine pädagogische Testung deines Kindes. Dann hast du mehr Sicherheit und kannst auf der Basis der Ergebnisse entscheiden, wie es weitergehen soll.

Melde dich gerne bei mir!

Du suchst einen Lerntherapeuten in deiner Nähe? Dann schau mal beim Lerntherapeutennetzwerk vorbei. Gute Tipps findest du auch im Blogbeitrag meiner Kollegin Susanne Seyfried Lerntherapeut finden – ich zeig dir wie.

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