„Jetzt setz dich endlich hin, wir müssen üben!“
„Das bringt doch nichts! Ich kann das sowieso nicht!“
Die Übungszeit beginnt – und schon ist die Stimmung im Keller.
Viele Eltern kennen diese Szenen nur zu gut: Das Üben wird zur Belastungsprobe. Statt Fortschritte zu machen, steigt der Frust – bei den Kindern genauso wie bei den Erwachsenen.
Kindern und Jugendlichen mit LRS und Rechenschwäche fällt das Üben besonders schwer. Sie strengen sich an, aber es will einfach nicht klappen. Die Folge: Unsicherheit, Blockaden, Tränen.
Doch muss das wirklich so sein? Was wäre, wenn Üben wieder leichter ginge? Wenn kleine Erfolge wieder sichtbar würden und der gemeinsame Lernweg entspannter verlaufen könnte?
In diesem Artikel zeige ich dir 5 konkrete Tipps, wie du Übungszeiten stressfreier, motivierender und wirksamer gestalten kannst, denn Lernen darf sich gut anfühlen.
Tipp 1: Ziel klar machen
Üben muss sein, doch braucht es einen klaren Rahmen. Häufig wird das geübt, was die Schule vorgibt, doch das ist nicht immer das, was das Kind oder der Jugendliche wirklich braucht. Bevor die Übungszeit beginnt, muss daher erstmal klar sein, was im Moment vorrangig ist.
Damit sich Kinder und Jugendliche auf das Üben einlassen, brauchen sie eine klare Orientierung, um sich nicht überfordert zu fühlen. Große Ziele führen oft zu Überforderung. Das zu Lernende liegt wie ein großer Berg vor uns und wir wissen gar nicht so recht, wie wir überhaupt anfangen sollen. Große Ziele wie z.B. Englisch-Vokabeln lernen oder schriftlich addieren oder subtrahieren können, müssen daher in kleinere Übungsziele aufgespalten werden. Diese Zwischenziele sollten genau zum jeweiligen Lernstand passen, konkret und überschaubar sein. Anstatt „wir lernen Englisch-Vokabeln“ könnte ein kleineres Ziel sein, „Wir üben die Vokabeln des Eingangstextes der Lektion 3“ oder „Heute wiederholen wir 20 Vokabeln der letzten Lektion“. Für das schriftliche Rechnen könnte ein Teilziel sein, zunächst das Kopfrechnen zu wiederholen, denn dies ist eine wesentliche Voraussetzung für das schriftliche Rechnen. Erst danach macht es Sinn, die Technik des schriftlichen Addierens oder Subtrahierens zu trainieren.
Ich höre dann häufig „Aber mein Kind muss doch trotzdem alles können!“ Klar, dem stimme ich zu, aber ist es nicht besser, in kleinen Schritten voranzukommen? Vielleicht schafft das Kind oder der Jugendliche dann nicht alles, was schulisch gefordert ist, aber dafür endet die Übungssituation nicht in Verzweiflung und Tränen. Warum Gefühle wie Verzweiflung, Wut oder Langeweile das Lernen schwer machen, lernen meine Schüler übrigens, wenn wir uns mit dem Thema „Gehirn“ beschäftigen. Ein Blogartikel dazu folgt demnächst!
Ein klares überschaubares Ziel zeigt, was in den nächsten Minuten gefordert wird und macht es Kinder und Jugendlichen leichter, sich auf die Übungssituation einzulassen.
Tipp 2: Kurze, machbare Einheiten
Übungseinheiten stehen oft zusätzlich zu den normalen Hausaufgaben an. Sich nach dieser langen Zeit noch zum Üben zu motivieren, fällt daher doppelt schwer. Hinzu kommt, dass unser Gehirn nur für eine begrenzte Zeit konzentriert arbeiten kann. Bei Kindern ist das ca. 1-1,5 mal das Lebensalter. Ein 10-jähriges Kind kann sich also ca. 10-15 Minuten konzentrieren.
Gute Übungseinheiten sind daher kurz und werden dafür regelmäßig durchgeführt. Ich nutze dafür gerne einen Timer und empfehle dies auch meinen Schülern für die Arbeit zu Hause. Manche Schüler mögen visuelle Timer, wie z.B. eine Sanduhr, in der man sieht, wie viel Sand noch übrig ist oder einen Ampel-Timer, der anhand der Ampelfarben zeigt, wie viel Zeit zum Arbeiten noch bleibt. Die meisten Schülerinnen nutzen aber ihr Handy, um sich ihren Timer zu stellen.
Ein Timer gibt damit den Rahmen vor und die Übungszeit erscheint nicht wie ein riesiger Berg, der bestiegen werden muss. Voraussetzung ist natürlich, dass Absprachen eingehalten werden – sowohl vonseiten des Schülers als auch vonseiten der Eltern. In der Übungszeit wird konzentriert gearbeitet, dafür wird die Übungszeit auch beendet, sobald der Timer dies anzeigt! Kein „Ach, mach das noch gerade fertig.“ oder „Noch diese 5 Aufgaben.“ Ist die Zeit vorbei, ist die Übungszeit auch wirklich beendet und eine Pause ist angesagt. Warum dich Pausen beim Lernen eigentlich schneller weiterbringen, kannst du in meinem Blogbeitrag nachlesen.
Tipp 3: Vom Leichten zum Schweren
Für viele Schüler mit Lernschwierigkeiten ist der Schulstoff sehr herausfordernd, und sie fühlen sich schnell überfordert. Hier gilt das Motto Sicherheit zuerst. Beginnt das Üben mit Aufgaben, die das Kind gut bewältigen kann. So erlebt es gleich zu Beginn ein Erfolgserlebnis und startet mit einem Gefühl von „Ich kann das!“. Das motiviert und senkt die Anspannung.
Kinder mit LRS oder Rechenschwäche profitieren von klaren, vertrauten Strukturen und sind schnell verwirrt, wenn sich das Aufgabenformat ändert. Ich wiederhole mit meinen Schülern daher immer erst schon bekannte Aufgabentypen, bevor wir das Gelernte auf neue Aufgabentypen übertragen. Achte auch darauf, den Schwierigkeitsgrad nur langsam zu steigern.
Ist bereits die Ausgangsaufgabe für das Kind oder den Jugendlichen schwer, kann ich die Aufgabe „vorentlasten“. Ich biete dem Schüler oder der Schülerin Mini-Übungen an, die einzelne Teilfertigkeiten trainieren und auf das Lösen der Aufgabe hinarbeiten. Das kann z.B. eine kurze Wiederholung sein, was ich schon alles zum Thema weiß. So aktivere ich mein Gehirn und kann das Neue an bereits Bekanntes anknüpfen. Andere Mini-Übungen sind das Herauslösen von Teilaufgaben oder das Klären unbekannter Begriffe. Bei schwierigen Lesetexten greifen wir z.B. längere oder unbekannte Wörter heraus, klären die Bedeutung und üben sie so lange lesen, bis sie flüssig über die Lippen kommen. Meine Schwester ist Schauspielerin und muss auch oft Texte mit schwierigen Wörten lernen. Hier ihr Tipp:
Wenn ich Texte lerne, übe ich die Sätze immer wieder. Ist ein schwieriges Wort dabei, über ich erstmal nur dieses Wort. Ich spreche es ganz langsam, mal laut, mal leise, dann in einem Rhythmus und schließlich immer schneller, bis ich es kann. Erst dann übe ich das Wort im Satz. Auch diesen spreche ich mehrmals, bis ich zufrieden bin.
Verena Bonnkirch, Schauspielerin
Tipp 4: Erfolgserlebnisse einbauen
Jeder Lerner braucht Erfolgserlebnisse, um motiviert dranzubleiben. Ich denke da gerade an meinen Dänisch-Kurs, bei dem ich an die gleichen Grenzen stoße, wie meine Fünftklässler beim Englischlernen. Ich habe mich schon öfter gefragt, ob ich im nächsten Kurs weitermachen soll – diese Freiheit haben Schülerinnen und Schüler nicht. Dann bekam ich von der Lehrerin positives Feedback, zu einer erledigten Hausaufgabe oder der richtigen Aussprache und schon war ich wieder motiviert und hatte wieder Spaß am Lernen.
Damit das Üben entspannt bleibt, ist es daher umso wichtiger, Teilerfolge zu würdigen und das Gelungene in den Fokus zu rücken. Frage nach jeder Übungseinheit: Was hat heute gut geklappt? Lass dein Kind selbst benennen, worauf es stolz ist. Das stärkt die Selbstwahrnehmung und die Selbstwirksamkeit. Wähle Übungsformen mit hohem Erfolgserlebnis, wie z.B. Spiele, digitale Übungen oder Partnerübungen, bei denen die Kinder und Jugendlichen leicht punkten können. Ich nutze zum Vokabellernen z.B. eine App, bei der ich Punkte sammeln kann und damit im Level aufsteige. Auch wenn ich mal einen Fehler mache, komme ich doch insgesamt voran und das motiviert mich, weiterzulernen. Vielleicht eignet sich für dein Kind die Erfolgsliste, in der alle Fortschritte eingetragen werden können, oder ihr gestaltet eine Lernlandkarte oder nutzt einen Smiley-Pass.
Wichtig ist es, ganz konkret zu loben. Statt „Super gemacht!“ lieber: „Du hast heute richtig konzentriert gelesen, auch wenn der Text schwer war. Super!“ Hier wird also nicht das Ergebnis gelobt, der Fokus liegt vielmehr auf der Bereitschaft, sich anzustrengen. So wird klar: Ich bin gut, weil ich mich angestrengt und etwas geschafft habe. Dies fördert das Wachstumsdenken (Growth Mindset) und damit die Vorstellung, dass Können nicht als Talent angeboren ist, sondern dass ich alles schaffen kann, wenn ich es anpacke und übe.
Genauso wichtig ist es, Rückschritte zu relativieren. Vielleicht klappt es heute einfach nicht. Dann ist es gut, sich an vergangene Erfolge zu erinnern: „Weißt du noch, wie schwer dir das letzte Woche oder am Anfang des Kapitels noch fiel? Jetzt verstehst du schon viel mehr und es fällt dir schon viel leichter.“ Das verhindert Frust und gibt Zuversicht, dass auch diese Hürde geschafft werden kann.
Tipp 5: Wiederholen – spielerisch und nicht zu viel auf einmal
Damit Gelerntes im Langzeitgedächtnis ankommt, braucht es Wiederholungen. Aber stures Wiederholen frustriert viele Kinder und Jugendliche, besonders dann, wenn ihnen das Lernen ohnehin schon schwerfällt. In der Lerntherapie verknüpfen wir das Üben in der Regel mit (Lern-)Spielen. Im Prinzip kann jedes Spiel in ein Lernspiel verwandelt werden, wenn ich die Regeln entsprechend anpasse. Möchte ich Kopfrechnen üben, passe ich das Würfeln an, z.B. kann ich mit zwei Würfeln würfeln, die addiert oder subtrahiert werden müssen. Möchte ich etwas üben, das ich auf Karteikarten notiert habe, gilt es vielleicht immer eine Karte zu bearbeiten, wenn ich auf ein bestimmtes Feld komme. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Falls du weitere Spielideen suchst, schau doch mal in meine Sammlung Flashcard Fun. Diese erhältst du als Dankeschön, wenn du dich für meinen Newsletter anmeldest.
Neben selbst ausgedachten Spielen gibt es natürlich auch eine ganze Reihe von Gesellschaftsspielen, die verschiedene Lernaspekte betonen oder Lernspiele, die genau für diesen Zweck entwickelt wurden. Wenn du dich ein wenig umschaust, findest du bestimmt etwas Passendes.
Wiederholen sollte regelmäßig erfolgen, so dass sich das neu Gelernte gut im Gedächtnis verankern kann. Meine Schüler wissen von den Verbindungen in unserem Gehirn, von den Nervenbahnen, die umso dicker und stabiler werden, je öfter wir diese benutzen. Dabei sind kleine Rituale hilfreich, die das Wiederholen in den Alltag einbinden. Dies kann z.B. sein, jeden Morgen eine Reihe Wörter zu lesen, jeden Abend den Satz des Tages aufzuschreiben, nach dem Mittagessen 5 neue Vokabeln zu lernen usw. Dir fallen bestimmt Möglichkeiten ein, die gut in euren Alltag passen. Weniger ist dabei mehr! Lieber regelmäßig nur eine kleine Aufgabe zur Wiederholung statt einmal lange hinsetzen und 20 Aufgaben lösen.
Manche Schülerinnen und Schüler mögen auch kleine Challenges: Schaffst du es, das 3-mal zu wiederholen? Schaffst du es, 8 von 10 Aufgaben richtig zu lösen? Schaffst du mehr Vokabeln als letzte Woche?
Üben darf leicht(er) sein
Lernen mit LRS oder Rechenschwäche ist oft eine besondere Herausforderung, aber es muss kein täglicher Kraftakt sein. Die fünf Tipps helfen dir dabei, mehr Leichtigkeit und echte Lernerfolge in euren Alltag zu bringen. Dabei können sich schon kleine Veränderungen in der Gestaltung positiv auswirken. Tipp 1, nämlich ein Ziel vor Augen zu haben, ist meiner Meinung nach dabei ganz entscheidend.
Du hast die 5 Tipps ausprobiert? Dann freue ich mich über deine Rückmeldung in den Kommentaren oder per Mail.
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