Anfang Januar formulieren viele Menschen Neujahrsvorsätze, die Ende Januar schon wieder vergessen sind. Daher bin ich schon lange davon abgekommen mit Vorsätzen in das neue Jahr zu starten. Gute Vorsätze bzw. Veränderungen lassen sich jederzeit im Jahr umsetzen. Dennoch finde ich es gut, sich über „große“ Ziele Gedanken zu machen. Auch in die Lerntherapie oder in das Lerncoaching kommen die Schüler oft mit großen Zielen, wie „Ich will endlich richtig schreiben können“ oder „Ich will gut rechnen können.“ Diese Ziele sind wirklich groß und die Umsetzung wird manchmal mehrere Jahre in Anspruch nehmen.
Große Ziele geben die Richtung vor
Große Ziele zu haben ist gut, denn sie lenken unsere Aufmerksamkeit und bringen uns dazu, eine gewisse Ausrichtung vorzunehmen. Da kommt mir das Zitat von James Redfield immer in den Sinn – da ist etwas Wahres dran:
Where attention goes energy flows.
James Redfield
Ohne ein Ziel vor Augen fallen mir tausend Sachen ein und ich beschäftige mich mit vielen Dingen gleichzeitig oder surfe endlos auf Social Media. So geht viel Zeit verloren. Zeit, die ich für sinnvollere Tätigkeiten nutzen könnte. Mit einem konkreten Ziel im Blick, fokussiere ich meine Aufmerksamkeit auf die Erreichung dieses Ziels und nutze alle Energie dafür. Ich bin motivierter diese Energie in die Erreichung dieses Ziels zu stecken. So komme ich am Ende schneller voran, weil ich Aufgaben fokussiert und damit schneller erledigen kann.
Die großen Ziele meiner Schüler sind aber in der Regel nicht dazu geeignet, diese Motivation aufzubauen. Die Ziele liegen zu weit in der Zukunft. Der Kinobesuch oder das Video auf dem Tablet, das ich jetzt anschauen kann, ist dann doch viel verlockender. In der Lerntherapie und im Lerncoaching thematisieren wir daher regelmäßig, welches Ziel sich der Schüler oder die Schülerin als nächstes setzen möchte.
Große Ziele sind in der Regel so groß, dass sie wie ein Berg vor uns liegen. Weil das Ziel so schwer erreichbar ist, kommen wir nur schwer in die Umsetzung. Der „Berg“ hindert uns daran, die ersten Schritte zu gehen, weil er so steil aussieht und wir schon erwarten, dass es sehr mühsam werden wird. Eine gute Möglichkeit um losgehen zu können, ist es daher, kleinere Teilziele festzulegen, die schneller erreicht werden können. Diese Abschnitte sind für uns überschaubar und in einem zeitlichen Rahmen, den wir gut überblicken können. Das schließt ein, dass bei jüngeren Kindern Teilziele noch viel kleiner gesteckt werden müssen, um überschaubar zu bleiben. Viele Schüler müssen sehen nur ihre großen Ziele. Sie müssen erst lernen, dass auch ein kleines Ziel, wie „Ich kenne die Regeln der Großschreibung“, ein wichtiger Teilschritt auf dem Weg zur Erreichung des goßen Ziels sein können. Das Erreichen der Teilziele dürfen wir feiern!
Auch ist es wichtig zu prüfen, ob wir ein Ziel wirklich erreichen wollen. Vielleicht geben nur unser Verstand oder unsere Eltern oder Lehrer uns vor, dass es doch wirklich sinnvoll wäre, dieses Ziel zu erreichen. Mit meinen Schülern erarbeite ich dies anhand der Zielpyramide von Maja Storch.
Ziel ist nicht gleich Ziel – Die Zielpyramide nach Maja Storch
Ziel ist nämlich nicht gleich Ziel! Wenn wir von Zielen oder Neujahrsvorsätzen sprechen, meinen wir meist Ergebnisziele: Was wollen wir erreichen? Diese sollten möglichst SMART formuliert sein, also spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. So dass sie erreichbar und überprüfbar sind. Viele Schüler haben das Ziel, sich mehr im Unterricht zu melden. Sie formulieren dann als Ergebnisziel „Ich melde mich in jeder Mathestunde mindestens 3 mal.“ Diese Formulierungen sind zwar spezifisch, messbar, häufig auch realistisch, aber meist sehr verkopft und in der Regel sehr wenig attraktiv. Es fällt dann schwer, das Ziel zu erreichen. Spätestens in der dritten Mathestunde geht das Ziel in Vergessenheit.
Viel erfolgversprechender sind Mottoziele, da sie uns auf der Gefühlsebene ansprechen. Mein Motto spiegelt meine Haltung wider und fühlt sich gut an. Es passt zu mir und durch die Haltung, die ich einnehme, setze ich auch Ziele um. Mottoziele sind daher bildhaft und können Vergleiche sein oder auch Liedtexte, die inspirieren, wie z.B. „Ich bin mutig wie ein Löwe“ oder „I feel good“. Dieser Haltung sind meine weiteren Ziele untergeordnet bzw. schwingen darin mit. Diese Ziele haben also richtig Power!
Im Lerncoaching ist auch häufig die unterste Ebene der Zielpyramide von Bedeutung. Denn häufig haben wir gute Vorsätze ein bestimmtes Ziel umzusetzen, scheitern dann doch an kleinen Hindernissen in der jeweiligen Situation. Hier helfen uns Verhaltensziele weiter: Wie verhalte ich mich in der ganz konkreten Situation, wenn ich bei der Umsetzung meines Ziels auf Widerstände treffe? Ich überlege mir also bereits vorher, auf welche Hürden ich treffen werde und was ich dann ganz konkret machen werde.
Wenn mein Ziel z.B. ist, im Unterricht mehr mitzuarbeiten, mich aber meine Sitznachbarin die ganze Zeit nervt, dann könnte das z.B. sein: „Wenn meine Sitznachbarin mich im Unterricht anspricht, dann zeige ich ihr die Stopp-Karte und drehe mich weg.“
Hier wird deutlich, dass die Genauigkeit der Zielformulierung zur Spitze der Pyramide hin abnimmt. Während Verhaltensziele sehr konkret auf die jeweilige Situation hin formuliert sind, ist das Mottoziel eher bildhaft gehalten und spiegelt eine übergreifende Haltung wider.
Wie erreiche ich mein Ziel?
In der Lerntherapie und im Lerncoaching überlegen wir ganz genau, welche Hindernisse uns bei der Umsetzung unseres Ziels im Weg stehen könnten und wie wir darauf reagieren könnten. Wir überlegen aber auch, wie wir uns selbst daran erinnern könnten, an unseren Ziel zu arbeiten.
Ein Mottoziel lässt sich gut visualisieren, bzw. kommen wir häufig über ein Bild zur Formulierung des Mottoziels, so dass dieses Bild als Anker verwendet werden kann. Wir suchen oder zeichnen uns ein passendes Bild und vervielfältigen. Dann verteilen wir es als Erinnerung überall im Haus oder in der Schule – je nachdem, wo wir einen kleinen Anstupser brauchen. Ein kleines Bild in der Federmappe hat schon viele meiner Schüler unterstützen können! Auch kleine Gegenstände, z.B. eine kleine Löwenfigur bei dem Motto „Ich bin mutig wie ein Löwe“, die in die Hosentasche gesteckt werden kann, eignet sich als Erinnerung, an dem Ziel zu arbeiten.
Häufig ändert sich durch die Findung eines passendes Mottos die innere Einstellung. Die Haltungsänderung, die sich auch in der Körperhaltung zeigt, setzt Kräfte frei, die vorher versteckt waren. So kommt es oft vor, dass wir nur wenige Stunden im Lerncoaching zusammenarbeiten und dann berichten mir die Eltern, dass sich das Problem gelöst hätte. Toll, was solch ein Motto alles bewirken kann!
Bei fachlichen Zielen erstellen wir häufig eine Lernlandkarte, in der wir das große Ziel in kleine Schritte unterteilen. Dies verschafft einen Überblick, welche Lernschritte nötig sind und wo im Lernprozess ich mich gerade befinde. Darüber hinaus motiviert es sehr, Teilziele als erreicht abhaken oder im Fall der Lernlandkarte häufig ausmalen zu können.
Wer zum Thema Ziele noch weiterlesen möchte, dem empfehle ich das Interview mit Dr. Julia Weber, Psychologin und ZRM-Trainerin (Zürcher Ressourcen-Modell von Frank Krause und Maja Storch). Auch die Videos zum Zürcher Ressourcen-Modell sind sehenswert. Das Thema „Embodiment“, also wie unsere Gefühle unsere Körperhaltung beeinflussen aber auch umgekehrt, wie unsere Haltung unsere Gefühle beeinflussen kann, stellt Maja Storch sehr amüsant in ihrem Vortrag „Embodiment in Aktion“ vor.
Eine To-Want-Liste als positive Ziele-Sammlung
Eine weitere Möglichkeit, Ziele so zu formulieren, dass man leichter in die Umsetzung kommt, ist eine To-Want-Liste aufzustellen. Bis letzten Herbst fand ich das ziemlich doof und eigentlich Zeitverschwendung. Durch die Blogtoberfest-Challenge von Judith Peters habe ich es dann doch ausprobiert und war überrascht über den positiven Effekt.
Statt To-Dos notiert man für einen bestimmten Zeitraum seine To-Wants: Was möchte ich für mich tun, was will ich erreichen? Diese Liste wirkt dann als selbsterfüllende Prophezeiung. Statt endlos in Social Media zu surfen, motiviert sie mich, Dinge anzupacken und umzusetzen. Daher habe ich auch für das 1. Quartal eine solche To-Want-Liste geschrieben und tatsächlich schon zwei Punkte abgehakt 😉
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Liebe Sabine, danke für den tollen Beitrag! Der ist nicht nur im Hinblick auf die Kinder und Jugendlichen interessant, sondern auch für uns! “To want” hat auch für mich was positives bekommen, gerade ist es mir klar geworden und die to do Liste ist eher negativ besetzt. Spannend☺️
Freue mich auf weitere Beiträge von dir, liebe Grüße
Michelle
Hallo Michelle, danke für deine Rückmeldung! Ich freue mich, dass dir der Artikel gefallen hat und du neue Erkenntnisse für dich daraus ziehen konntest. Von der To-Want-Liste bin ich mittlerweile begeistert!
Liebe Grüße
Liebe Sabine,
ein toller Artikel, der sehr in mir resoniert. Denn ich halte auch nichts (mehr) von rein verkopfter Zielformulierung.
ZRM setze ich auch gelegentlich im Coaching ein.
Danke für die Erinnerung, sich bereits im Vorfeld mit möglichen Hindernissen bei der Umsetzung und möglichen Reaktionen darauf auseinanderzusetzen.
Herzliche Grüße
Bianca
Hallo Bianca, vielen Dank für diese schöne Rückmeldung! Was gibt es Besseres, als Menschen mit Blogartikeln anzusprechen und Ideen weiterzugeben? Die Vorab-Beschäftigung mit möglichen Hindernissen ist, neben den Erinnerungshilfen, für mich ein wesentlicher Faktor in der Zielerreichung. Wir müssen dafür zwar Zeit investieren, aber die zahlt sich aus. Sonst geben wir bei den kleinsten Kleinigkeiten, die sich uns in den Weg stellen bereits auf.
Liebe Grüße
Sabine