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Beziehung, Ganzheitlichkeit und Flexibilität – 3 und mehr Gründe, warum KI meine Lerntherapie nicht ersetzen kann

Künstliche Intelligenz (KI) hat Einzug in unser Leben gehalten, ob wir das gut finden oder nicht. Wie mit allem Neuen wird hitzig darüber diskutiert: Datenschutz, Folgen der Automatisierung für unseren Alltag, ethische Fragen, möglicher Missbrauch und Kontrollverlust, Auswirkungen auf die soziale Interaktion und natürlich das Thema Arbeitsplatzverlust sind hoch brisante Themen. 

Auch im Bereich der Unterstützung von Schülern beim Lernen gibt es erste Ansätze zum Einsatz künstlicher Intelligenz. Natürlich sind auch hier die Befürchtungen groß: Schüler nutzen KI zum Betrügen, lernen nichts mehr, Chat GPT sei der Tod der Bildung. 

In seinem TEDTalk von April 2023 argumentierte Sal Khan, der Gründer der Khan Academy, dagegen: „How AI could save (not destroy) education“. In seinem Vortrag stellte er seinen Chatbot Khanmigo vor. Dieser soll für jeden Schüler des Planeten als persönlicher Tutor wirken können und durch intelligente Rückfragen das Lernen unterstützen. Auch wenn dies fantastische Möglichkeiten eröffnet, die das Lernen für viele Schüler erleichtern kann, bin ich mir sicher, dass Künstliche Intelligenz meine Tätigkeit als Lerntherapeutin nie ersetzen wird.  

Beziehung, Ganzheitlichkeit und Flexibilität – 3 und mehr Gründe, warum KI meine Lerntherapie nicht ersetzen kann.

Beziehung

Die Gestaltung einer tragfähigen Beziehung ist eine wesentliche Grundlage für gelingendes Lernen. Dies konnte Hattie seiner Metastudie bestätigen: „Lehrpersonen gehören zu den wirkungsvollsten Einflüssen beim Lernen“ (Hattie, 2013, zitiert nach Lesemann, 2016, S. 5). Künstliche Intelligenz kann Daten analysieren und entsprechend reagieren. In Zukunft wird dies sicher noch genauer und zuverlässiger funktionieren. KI kann aber keine ehrliche emotionale Verbindung aufbauen. 

Alle Menschen haben das Bedürfnis gesehen zu werden. Bei Kindern, die viele negative Lernerfahrungen gemacht haben, bevor sie eine Lerntherapie besuchen, ist dies noch bedeutender. Schülerinnen und Schüler erhalten in der Lerntherapie nicht nur fachliche Unterstützung, vielmehr ist die emotionale Unterstützung bedeutsam, um überhaupt eine Atmosphäre zu schaffen, in der Lernen möglich wird. 

Die Lerntherapie bietet Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten einen geschützten Raum. Durch die persönliche Interaktion zwischen Lerntherapeutin und Lernendem, echtem Zuhören und der Wahrnehmung auch von Unausgesprochenem, wird eine vertrauensvolle, auf Verständnis basierende, Beziehung aufgebaut. Die Schüler erfahren, dass sie von mir gesehen werden und ich an sie glaube. KI wird in Zukunft sicher auch im Bereich der Wahrnehmung und Interpretation von Stimmvariationen Fortschritte machen, doch wird sie keine Atmosphäre des Wohlfühlens und Gesehenwerdens schaffen können. Nur so aber kann der lerntherapeutische Prozess gelingen. 

Ganzheitlichkeit

Lerntherapie verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und bietet nicht nur fachliche Unterstützung. Vielmehr nehmen auch die emotionalen, sozialen und persönlichen Aspekte einen wesentlichen Raum ein. Diese Ganzheitlichkeit stellt damit auch einen wesentlichen Unterschied zur Nachhilfe dar, in der KI sicher fachlich unterstützen kann.

Kinder mit einer Lernschwäche habe in der Regel bereits viele schlechte Lernerfahrungen gemacht. Viele zweifeln an sich selbst und haben ein negatives Selbstbild entwickelt. In der Lerntherapie enthalten die Schülerinnen und Schüler ganzheitliche Unterstützung, die die Entwicklung ihrer Gesamtpersönlichkeit unterstützt, das Selbstvertrauen und eine positive Einstellung zum Lernen fördert. 

Darüber hinaus beinhaltet Lerntherapie nicht nur die Arbeit mit dem jeweiligen Schüler. Um den Therapieprozess zu unterstützen, werden in der Lerntherapie auch die Eltern und jeweiligen Lehrkräfte mit einbezogen. In vielen Gesprächen entwickeln alle Beteiligten gemeinsam Lösungen, um das Kind bestmöglich zu unterstützen. 

Eine KI kann sicher fachlich mit einer Person arbeiten und bei der Vermittlung von Lerninhalten unterstützen. Sie kann aber weder die Person als Ganzes sehen und die Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit unterstützen, noch kann sie die Beratung und den Austausch mit Eltern und Lehrkräften koordinieren und gemeinsame Lösungswege entwickeln. 

Flexibilität

Jeder Schüler und jede Schülerin ist einzigartig und kommt mit unterschiedlichen Stärken und Erfahrungen in die Lerntherapie. Diese gilt es zu berücksichtigen und für das Lernen nutzbar zu machen. Für das fachliche Lernen gibt es eine Reihe von evaluierten Lernprogrammen, die bei einer Lernschwäche nachweislich erfolgreich sind. Diese sind aber nicht immer für jedes Kind passend. Manchmal benötigen Schülerinnen und Schüler mehr Zeit, als das Programm vorsieht oder Inhaltsbereiche sind bereits gesichert und müssen nicht bearbeitet werden. Als Lerntherapeutin kann ich individuell darauf reagieren. Ich finde passende Ansätze und passe die Methoden an die spezifischen Bedürfnisse des jeweiligen Lernenden an. 

Diese Flexibilität kann Künstliche Intelligenz nur bedingt erfüllen. Natürlich gibt es mittlerweile auch eine Reihe adaptiver Übungsprogramme, die auf die jeweiligen Leistungen reagieren und den Übungsverlauf entsprechend anpassen können. Dies ist jedoch nur programmintern möglich und auf vordefinierte Algorithmen beschränkt.

Flexibilität bezieht sich auch auf die Methodik. Als Lerntherapeutin kann ich flexibel reagieren, Programme auswählen und anpassen und bin nicht auf einzelne Methoden, wie z.B. die computergestützte Arbeit festgelegt. Gerade jüngere Kinder brauchen den Einsatz vielfältiger Materialien, mit deren Hilfe sie den Lerngegenstand haptisch erfahren können. Sie müssen Dinge anfassen und ausprobieren können. Als Lerntherapeutin kann ich den Einsatz der Materialien flexibel auf den jeweiligen Lernenden anpassen. KI-basiertes Lernen bietet diese Möglichkeit nur bedingt, im Rahmen der vordefinierten Algorithmen und nur virtuell. 

Kreativität

Lerntherapie muss flexibel auf den jeweiligen Lernenden eingehen, um Lernen zu ermöglichen. Dazu gehört es zum einen, im Vorhinein Lernmaterialien kreativ auf den jeweiligen Schüler anzupassen oder neue Materialien kreativ zu entwickeln. Oft erfinden Lerntherapeutinnen neue Spiele, die optimal auf das Lernen zugeschnitten sind. Zahlreiche tolle Spiele findest du bei Miriam Hörth.

Kreative Methoden bieten darüber hinaus alternative Wege zum Verständnis und zum besseren Behalten von Wissen. Durch künstlerisches Gestalten von Merkbildern, z.B. durch Sketchnotes oder das Erfinden und Erzählen von Geschichten können Lerninhalte auf vielfältige und ansprechende Weise vermittelt werden. Dies fördert die Motivation und erhöht das Engagement des Schülers. Insgesamt unterstützt die Integration von Kreativität in die Lerntherapie einen ganzheitlichen und individualisierten Ansatz, der die Lernenden dabei unterstützt, ihr volles Potenzial zu entfalten.

Kreative Aktivitäten ermöglichen es auch, mit dem Schüler oder der Schülerin über therapeutische Inhalte ins Gespräch zu kommen. So können Lernende z.B. über die zeichnerische Gestaltung der eigenen Lernbiografie wertvolle Anregungen für das weitere Lernen gewinnen oder durch das Malen eines Selbstbildes den eigenen Stärken auf die Spur kommen. Auch positive Affirmationen lassen sich kreativ verarbeiten und bieten so einen tollen Gesprächsanlass.

Diese kognitive Flexibilität von Kreativität geht über die Fähigkeiten von KI hinaus, die nur auf der Basis vorgegebener Muster reagieren kann.

Bewegung

Häufig fällt es im Grundschulalter auf, wenn Kinder Schwierigkeiten mit dem Lernen haben. Meist liegt es daran, dass grundlegende Fähigkeiten, die sogenannten Basiskompetenzen für das Lernen, nicht erworben wurden. Lerntherapie zielt darauf ab, diese aufzuarbeiten, um eine tragfähige Basis für das Weiterlernen zu schaffen. Kinder im Grundschulalter mögen Bewegung und lernen besonders gut, wenn sie Lerninhalte haptisch „begreifen“ können. In der Lerntherapie stelle ich meinen Schülerinnen und Schülern Material zur Verfügung, mit welchen sie z.B. mathematische Inhalte nachbauen können. Auch bauen wir konkrete (Lösungs)Wege auf, die z.B. einen Entscheidungsprozess bis hin zur richtigen Schreibung veranschaulichen. Bewegte Spiele, wie z. B. die Schneeballschlacht mit Lernwörtern machen Spaß und das Üben gelingt so ganz nebenbei. Auch die Begrüßung erfolgt bei mir „bewegt“. Aus verschiedenen Begrüßungsvorschlägen an der Tür, wie z.B. winken, Faust, tanzen, Ellbogen- oder Fußcheck wählen sich die Lernenden zu Beginn eine Begrüßungsart aus. Manche Schülerinnen und Schüler kombinieren bis zu drei Begrüßungen, so dass jedes Mal eine individuelle Begrüßungssequenz entsteht. 

Die Liste, warum KI meine Tätigkeit als Lerntherapeutin nicht ersetzen kann, ließe sich jetzt beliebig weit ausführen. Einige Punkte sind in meinen Ausführungen schon angeklungen, andere lassen sich ergänzen: Anpassungs- und Improvisationsfähigkeit, individualisiertes und einfühlsames Feedback, Motivation und Ermutigung, Unterstützung bei der Bewältigung herausfordernder Situationen, Vertraulichkeit, Verbindlichkeit, Unterstützung dabei, ins Tun zu kommen und natürlich Humor, der das Lernen leichter macht. Die Kombination aus all diesen Fähigkeiten ist nur von einer menschlichen Lerntherapeutin leistbar. Eine künstliche Intelligenz mag fachlich unterstützen können, wie das der Chatbot „Khanmigo“ ermöglicht. KI vermag aber die beschriebene ganzheitliche Unterstützung nicht zu leisten.

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3 Kommentare

  1. Irina

    Hallo Sabine, du hast recht, die KI kann eine Lerntherapeutin nicht ersetzen. Ich denke aber, dass sie auf kurz oder lang unterstützen kann. Sie könnte z. B. bei komplexen Texten mittels vorlesen helfen, den Inhalt schneller zu erfassen. Vor allem für Erwachsene kann das sicher im Alltag hilfreich sein. Wie denkst du darüber?
    Allerdings muss natürlich die Erlangung bestimmter Grundfertigkeiten die Voraussetzung sein.

    LG Irina

    • Sabine Landua

      Hallo Irina,
      ich sehe das ähnlich. Natürlich muss das erste Ziel sein, grundlegende Fähigkeiten zu erwerben. In der Übergangszeit kann KI aber eine Hilfe darstellen, so wie du es beschrieben hast. Mit meinen Schülern thematisiere ich dann aber ganz klar, dass technische Hilfsmittel nur so lange genutzt werden dürfen, bis sie die Tätigkeit alleine ausführen können und sie sich nicht auf der Hilfe ausruhen dürfen 😉

      Liebe Grüße
      Sabine

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