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Mit Offenheit und Neugier: Mehrsprachigkeit in der Lerntherapie

Mehrsprachigkeit ist ein faszinierendes Thema, das auch in der Lerntherapie eine Rolle spielt. Inspiriert durch Ursula Eggers‘ Frage im Aufruf zu ihrer Blogparade „Wie gehst du mit (deiner) Mehrsprachigkeit um?“, möchte ich meine Erfahrungen und Gedanken zu diesem Thema teilen. Seit meinem Zusatzstudium in „Deutsch als Fremdsprache“ und meiner Tätigkeit in einem Forschungsprojekt zur Sprachaneignung von Kindern mit nichtdeutscher Erstsprache begleitet mich das Thema Mehrsprachigkeit. Auch in meiner Arbeit als Lerntherapeutin begegne ich immer wieder Schülern, für die Mehrsprachigkeit ein selbstverständlicher Teil ihres Alltags ist.

Wie erlernen wir Sprachen?

Die Erstsprache, oft als Muttersprache bezeichnet, erlernen wir von Geburt an durch Immersion. Kinder sind von der Sprache umgeben und nehmen Wörter, Satzstrukturen und die korrekte Grammatik auf, ohne dass sie dies bewusst tun. Sie imitieren ihre Umgebung und entwickeln ein Sprachgefühl, das ihnen hilft, sich zu verständigen. Bei Schuleintritt verfügen Kinder im Durchschnitt über einen aktiven Wortschatz von etwa 5.000 bis 9.000 Wörtern, während ihr passiver Wortschatz sogar noch größer ist. Das Fundament für die schriftliche und mündliche Kommunikation wird somit schon früh gelegt.

Kommunikation lässt sich jedoch nicht nur auf die lautsprachliche Äußerung beschränken. Unsere gesprochene Sprache wird immer durch Gestik und Mimik ergänzt. Diese ist kulturell geprägt. 

Beim Erlernen einer Zweitsprache, die oft durch eine andere Umgebung oder Bezugspersonen notwendig wird, verläuft der Prozess ähnlich. Manchmal wir der natürliche Spracherwerb aber noch durch Unterricht ergänzt, wenn z.B. Schülerinnen und Schüler Unterricht in Deutsch als Zweitsprache erhalten. Der Erfolg des Spracherwerbs hängt dabei von vielen Faktoren ab, wie der Qualität des Sprachkontakts, der bisherigen Spracherfahrung und dem emotionalen Umfeld. Wird die neue Sprache wertgeschätzt und gefördert, trägt dies wesentlich zur Motivation, zum Lernerfolg und auch zur Entwicklung eines positiven Selbstbilds bei.

Mehrsprachigkeit meiner Schüler

In meiner Arbeit treffe ich auf eine bunte Vielfalt von Sprachbiografien. Einige meiner Schüler wachsen bilingual auf, andere haben Deutsch als Zweitsprache erlernt. Die Bandbreite reicht von Kindern, die in mehreren Sprachen alphabetisiert sind, bis hin zu solchen, die nur auf Deutsch lesen und schreiben können. Auch der Grad der Beherrschung der Sprachen variiert stark – manche Kinder verstehen und sprechen mehrere Sprachen fließend, während andere nur grundlegende Kommunikationsfähigkeiten in einer zweiten Sprache haben.

Herausforderungen der Mehrsprachigkeit im Lernprozess

In Deutschland treffen mehrsprachige Schüler oft auf ein Bildungssystem, das primär auf Einsprachigkeit ausgerichtet ist. Ihre Mehrsprachigkeit wird meist nicht als wertvolle Ressource angesehen. Treten Lernschwierigkeiten auf, wird die Mehrsprachigkeit häufig als potenzielle Ursache betrachtet. Wissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass dies ein Trugschluss ist. Vielmehr muss die gesamte sprachliche und schulische Entwicklung eines Kindes betrachtet werden.

Besonders herausfordernd kann der Schriftspracherwerb für mehrsprachige Schüler sein. Einige Methoden, wie „Schreibe, was du hörst“, können zu Schwierigkeiten führen, da Laute in den verschiedenen Sprachen unterschiedlich wahrgenommen und ausgedrückt werden. Dies kann dazu führen, dass Wörter nicht normgerecht verschriftlicht werden. Darüber hinaus kann ein begrenzter Wortschatz das Textverständnis erschweren, insbesondere wenn die Alltagssprache der Schüler von der deutschen „Schulsprache“ abweicht. Diese Diskrepanz kann die Leseflüssigkeit und das Verständnis auch von Aufgaben im Mathematikunterricht beeinträchtigen.

Mehrsprachigkeit in der Lerntherapie

Lerntherapie bezieht bei der Förderung immer die Ressourcen der Schülerinnen und Schüler mit ein. Mehrsprachigkeit stellt eine wichtige Ressource dar, die unterstützend wirken kann. Eine ausführliche Diagnostik der Lernausgangslage bildet die Grundlage für eine gezielte Förderung in der Lerntherapie. Normierte Tests, die auch die Mehrsprachigkeit berücksichtigen, wie z.B. der Leseverständnistest ELFE-II, können hierbei wertvolle Rückmeldungen geben.

In der Förderung mehrsprachiger Schüler nehmen die Erarbeitung der Buchstabe-Laut-Verbindung und die Wortschatzarbeit einen besonders großen Raum ein. Durch den Vergleich der Sprachen können tiefere Einblicke gewonnen und ein besseres Verständnis entwickelt werden. Es ist wichtig, nicht nur die Bedeutung einzelner Wörter zu erarbeiten, sondern auch Strategien zur Erweiterung des Wortschatzes zu vermitteln. So kann die Lerntherapie gezielt auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler eingehen.

Auswirkungen und Chancen

Der sprachliche Vergleich zwischen Deutsch und der weiteren Sprache der Schüler eröffnet in der Lerntherapie spannende Lernmöglichkeiten. Bilinguale Bücher oder Kinderbücher, die in mehrere Sprachen übersetzt sind, bieten eine ideale Grundlage für diesen Austausch. Dabei muss ich als Lerntherapeutin nicht alle Sprachen beherrschen – es ist sogar hilfreich, wenn meine Schüler mir gegenüber einen Wissensvorsprung haben. Wenn sie mir etwas erklären oder zeigen können, stärkt dies ihr Selbstbewusstsein und ihre Sprachkompetenz.

Offenheit und Neugier gegenüber den Sprachen meiner Schüler tragen entscheidend dazu bei, dass Lerntherapie gelingt. Die Schülerinnen und Schüler können in ihrer Persönlichkeit wachsen, ihren Selbstwert stärken und ihre Mehrsprachigkeit weiterentwickeln. Gleichzeitig verbessern sie ihre fachlichen Kenntnisse im Lesen, Schreiben und Rechnen, was ihnen hilft, besser am Schulunterricht teilzunehmen.

Mehrsprachigkeit ist kein Hindernis, sondern eine Bereicherung – und diese Ressourcenorientierung sollte in der Lerntherapie stets im Mittelpunkt stehen.

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6 Kommentare

  1. Angela Carstensen

    Liebe Sabine, ich habe diesen warmherzigen und wertschätzenden Artikel mit leuchtenden Augen gelesen 😀 Ich habe selbst eine Weile Deutsch als Zweitsprache unterrichtet und freue mich, dass auch du Mehrsprachigkeit von Schüler:innen als Ressource siehst. Die Schweirigkeiten beim „schreibe, was du hörst“ hatte ich so gar nicht im Blick, aber das ist sehr plausibel, dass es bei der Zweitsprache schief gehen kann. Sehr spannend und blickerweiternd!
    Liebe Grüße
    Angela

  2. Pingback:Finale: Blogparade Mehrsprachigkeit - Ursula Eggers

  3. Ursula Eggers

    Hallo Sabine,
    das ist ein spannender Artikel und eine interessante Ansicht! Ich selbst hätte meine Kinder gern zweisprachig erzogen, spreche aber leider keine Sprache gut genug. Meine Tochter war etwa anderthalb Jahre in einer bilingualen Klasse, in der zwei Fächer auf Englisch unterrichtet wurden. Ihre Fortschritte waren erstaunlich.
    Ich finde es sehr schade, dass Mehrsprachigkeit bei Kindern oft als Manko angesehen wird, ich persönlich sehe es als großen Vorteil an. Toll, dass Du das in der Lerntherapie zu nutzen weißt!
    LG Ursula

    • Sabine Landua

      Hallo Ursula,
      danke für deine Idee zu diese, Artikel! Ich finde es toll, wenn jemand mehrere Sprachen sprechen kann und sehe das wie du als einen großen Vorteil an. Durch das Schreiben ist mir einiges noch klarer geworden und ich kann jetzt benennen, was genau ich in der Lerntherapie mit mehrsprachigen Kindern anders mache 😉
      Liebe Grüße!

  4. Pingback:KW32/2024: Alle TCS-Blogartikel - The Content Society

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