Lerntherapie ist eine sehr individuelle und intensive Unterstützung für Kinder und Jugendliche mit Lese-Rechtschreibschwäche (LRS) oder Rechenschwäche. Kein Wunder also, dass viele Eltern – und auch Kolleginnen – sich fragen: Kann das online überhaupt funktionieren? Lerntherapie lebt schließlich vom persönlichen Kontakt, vom Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung und von individueller Förderung. Aber ist all das auch über den Bildschirm möglich?
Auf der FiL-Fachtagung 2025 habe ich dazu den Workshop „Lerntherapie online und digital? Möglichkeiten und Grenzen“ besucht. Dort wurde schnell deutlich: Die Meinungen gehen weit auseinander. Meine Sichtweise stelle ich in diesem Artikel vor. Ich greife dabei die vier Fragen auf, die der Referent des Workshops Dr. Lorenz Huck zur Diskussion gestellt hat – und beantworte sie aus meiner eigenen Praxis.
Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit Online-Lerntherapie gemacht?
Seit den Schulschließungen in der Corona-Pandemie fördere ich meine Schüler live-online. Obwohl ich noch wenige Monate zuvor dachte, dass Lerntherapie online nie möglich sein würde, ist diese Form der Förderung ein fester Bestandteil meiner Praxis geworden. Mittlerweile fördere ich mehr als die Hälfte meiner Schülerinnen und Schüler ausschließlich online – und ja, das sind überwiegend Schüler, die ich nur live-online kenne.
Meine Erfahrungen damit sind sehr gut. Viele Schüler sind für die Online-Arbeit gut zu motivieren und lassen sich so gerne auf die Lerntherapie ein. Natürlich kann es vorkommen, dass während der Online-Therapie deutlich wird, dass eine Lerntherapie in Präsenz doch besser wäre. In diesen wenigen Fällen haben wir bisher immer eine Lösung gefunden. Wohnt das Kind oder der Jugendliche nicht zu weit weg, kann die Lerntherapie in Präsenz fortgesetzt werden. Ist das nicht möglich, kann ich auf mein Netzwerk von Kolleginnen zurückgreifen und den Schüler oder die Schülerin dort unterbringen. Dies war bisher jedoch erst in einem Fall nötig. Für mich steht fest: Ja, Online-Lerntherapie funktioniert – und zwar richtig gut, wenn wichtige Voraussetzungen vorher geklärt sind.
Warum bieten Sie aktuell Online-Lerntherapie an?
Die Lerntherapie live-online durchzuführen ist für mich eine grundsätzliche Option, für die sich Eltern und Kinder oder Jugendliche entscheiden können.
Die Beweggründe dazu können sehr unterschiedlich sein:
- die Familie lebt im Ausland und vor Ort ist keine Förderung in der Muttersprache möglich
- die Familie lebt in einer Region, in der keine Lerntherapie vor Ort möglich ist
- in den Lerntherapiepraxen von Ort gibt es lange Wartelisten – online ist die Chance größer, früher einen Platz zu bekommen
- der Anfahrtsweg zur Lerntherapiepraxis ist zu weit oder bedeutet zusätzlichen Stress für Eltern und Kinder
- die Erreichbarkeit durch den ÖPNV ist in strukturschwachen Regionen häufig eingeschränkt
- Eltern können den Fahrdienst zur Lerntherapie nicht gewährleisten (sei es aus beruflichen oder anderen Gründen)
- Schülerinnen und Schüler können den Zugang zur Lerntherapie eigenständig bewältigen auch wenn Eltern nicht zuhause sind
- durch die Zeitersparnis (Wegfall des Fahrtweges) kann die Lerntherapie auch zu anderen Zeiten stattfinden (z.B. früher nach Schulende oder am Abend)
- die Termine lassen sich so besser in den Familienalltag einbinden
- online zu arbeiten macht manchen Schülerinnen und Schülern einfach mehr Spaß
Neben dieser grundsätzlichen Entscheidung sind auch Wechselmodelle möglich. Bei langem Fahrtweg oder bestimmten Themen, können für Schüler, die in der Region wohnen, Präsenztermine vereinbart werden, die sich mit Online-Terminen abwechseln. Auch im Krankheitsfall (sofern das Kind sich so fit fühlt, dass Arbeiten möglich ist oder falls ein Elternteil, der den Fahrdienst übernehmen müsste, erkrankt ist), können Online-Termine die Lerntherapie in Präsenz ersetzen. So kann ich flexibel reagieren und die für Lernfortschritte notwendige Kontinuität sicherstellen.
Für einen Überblick über die Vor- und Nachteile von Online-Lerntherapie kannst du hier weiterlesen.
Was ist Ihnen in der Vorbereitung einer Online-Lerntherapie wichtig?
Wie auch in der Lerntherapie in Präsenz müssen vor Beginn klare Absprachen getroffen und die Voraussetzungen geklärt werden.
Technische Voraussetzungen
Zunächst sind die technischen Voraussetzungen zu beachten. Das Kind oder der Jugendliche benötigen einen Computer, Laptop oder ein großes Tablet. Kleine Geräte oder ein Smartphone reichen für eine sinnvolle Zusammenarbeit nicht aus.
Die Internetverbindung muss stabil sein, damit Kamera und Ton nicht abbrechen, was die Kommunikation erheblich erschweren würde. Dies prüfe ich mit Eltern und Schülern immer vorab bei einem Kennenlerngespräch. Damit die Kommunikation möglichst direkt erfolgen kann, benötigen Schüler wie auch ich als Lerntherapeutin ein Headset. Dies ist besonders wichtig, wenn auf lautlicher Ebene gearbeitet werden soll. Aber auch sonst profitieren Kinder und Jugendliche davon, dass Störgeräusche im Raum ausgeblendet und die Stimme der Lerntherapeutin unmittelbar ins Ohr geht. Aus meiner Erfahrung heraus erleichtert dies besonders für Schülerinnen und Schüler mit ADHS die Arbeit im virtuellen Klassenzimmer.
Verbindlichkeit
Lerntherapie live-online ist ebenso verbindlich wie in Präsenz. Die Zeiten müssen eingehalten und gewährleistet werden, dass sich das Kind oder der Jugendliche pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt unter dem vereinbarten Link einloggt.
Damit die Lerntherapie auch online ungestört und in einem geschützten Rahmen stattfinden kann, muss unbedingt ein ruhiger Arbeitsplatz vorhanden sein oder im häuslichen Umfeld geschaffen werden. Dieser sollte genügend ausgeleuchtet sein und über genügend Arbeitsfläche auf einem Tisch verfügen, damit auch mal ein Arbeitsblatt ausgefüllt oder Material gelegt werden kann.
individuelle Vorlieben
Schließlich hängt es von den Vorlieben der Kinder und Jugendlichen selbst ab. Nach einer kurzen Einführung in das virtuelle Klassenzimmer beim Kennenlern-Gespräch können Eltern und Kinder gemeinsam entscheiden, ob diese Lernform passend ist oder eben auch nicht. Die meisten Kinder und Jugendlichen signalisieren bereits am Ende des Kennenlernens, dass sie die virtuelle Lernumgebung spannend finden. So stehen die meisten dem Beginn der Lerntherapie sehr positiv gegenüber, was dann auch den Beziehungsaufbau über das Medium Computer erleichtert.
Material
Schlussendlich ist für mich auch entscheidend, dass meine Schülerinnen und Schüler auch zuhause über bestimmte Materialien verfügen, damit handelndes Lernen möglich ist. Je nach Themengebiet können das Alltagsmaterialien oder auch bestimmte Zusatzmaterialien sein, die die Eltern anschaffen müssen. In jedem Fall erhalten meine Schüler von mir ein Materialpaket zugeschickt, welches wir anschließend gemeinsam in einen Ordner einordnen. So haben wir eine gemeinsame Grundlage, mit der wir arbeiten können und verschwenden nicht unnötig Zeit mit Suchen von Arbeits- oder Merkblättern.
Entscheidung für einen „Raum“
Vor Beginn einer Online-Lerntherapie muss noch die „Raumfrage“ geklärt werden. Hier gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die aber aus meiner Sicht nicht unbedingt für die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern geeignet sind. Diese stellt besondere Anforderungen.
Ich wünsche mir für meine Online-Lerntherapie einen geschützten virtuellen Raum, ähnlich meinem Therapieraum vor Ort. In diesem virtuellen Klassenzimmer gebe ich vor, was zugänglich ist und womit sich der Schüler beschäftigen soll. Das setzt voraus, dass der Raum auch nicht „verlassen“ werden muss, um bestimmte Übungen online durchzuführen. Vielmehr lade ich Übungen in dieses virtuelle Klassenzimmer hoch und gebe sie dem Schüler zur Bearbeitung frei. Das hat den Vorteil, dass die Kinder und Jugendlichen nicht dazu verführt werden, anderweitig zu klicken und sich parallel mit anderen Dingen online zu beschäftigen. Eine gewisse Vertraulichkeit schafft auch das immer gleiche Erscheinungsbild: Ich gebe die Darstellung im virtuellen Klassenzimmer vor, d.h. die Kamerabilder, das Whiteboard, die Tool-Leiste zum gemeinsamen Arbeiten – all das befindet sich immer an derselben Stelle.
Vorbereitung der Online-Lerntherapiestunde
Danach unterscheidet sich die Vorbereitung einer Online-Lerntherapiestunde für mich nicht wesentlich von einer Stunde in Präsenz: Sie muss gut vorbereitet werden! Wie in Präsenz auch, plane ich meinen Stundenablauf und erstelle mir gegebenenfalls neue Materialien für ein bestimmtes Themengebiet. Diese lade ich in meine Datenbank hoch und kann sie dann in der Arbeit mit dem Schüler wieder aufrufen. Soll der Schüler in der Stunde ein Arbeitsblatt auf Papier bearbeiten, muss ich dieses der Familie rechtzeitig zuschicken. Kurzfristig kann das per Mailanhang erfolgen und die Eltern drucken das Blatt dann aus. In der Regel erhalten meine Schüler aber von mir vorab ein Materialpaket per Post zugeschickt, dem dann auch notwendige Arbeitsblätter in Papierform oder auch Würfel oder andere benötigte Materialien beiliegen.
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Wann schließen Sie Online-Lerntherapie aus?
Eine Online-Lerntherapie schließe ich aus, wenn deutlich wird, dass das Kind oder der Jugendliche so nicht arbeiten möchte. Vorab führe ich daher immer ein (online) Kennenlerngespräch, in dem ich auch das virtuelle Klassenzimmer vorstelle. Nach dem Kennenlerngespräch kann die Familie noch einmal in Ruhe die Vor- und Nachteile der Online-Therapie besprechen und sich dann entscheiden, ob sie den Platz nehmen möchten oder nicht. Da sich die Familien aber in der Regel schon vorab mit der Thematik beschäftigt haben (sonst hätten sie sich nicht für einen Online-Therapieplatz interessiert), stehen Eltern und Kinder dem Online-Lernen in der Regel positiv gegenüber und entscheiden sich dann für die Online-Lerntherapie.
Ein weiteres Ausschlusskriterium sind die technischen Voraussetzungen. Sind diese nicht gegeben oder können nicht hergestellt werden, kann Online-Lerntherapie nicht funktionieren. Schlechte Tonqualität oder ruckelnde Bildübertragung machen gemeinsames Arbeiten unmöglich.
Das Alter des Kindes ist dagegen für mich kein Ausschlusskriterium. Ich habe auch bereits gut mit Erstklässlern gearbeitet. Hier ist anfangs gegebenenfalls elterliche Unterstützung nötig, bis der Umgang mit der Technik vertraut geworden ist.
Fazit: Warum funktioniert Online-Lerntherapie für mich so gut?
Zunächst einmal – und das ist vielleicht der wichtigste Punkt – macht es mir richtig Spaß meine Schüler online in der ganzen Welt zu unterstützen. Lerntherapie – ob live-online oder in Präsenz – kann gut oder schlecht durchgeführt werden. Die Qualität hängt, neben den technischen Voraussetzungen, entscheidend von der Person des Lerntherapeuten ab. Besonders beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang eine Aussage im Vortrag von Dr. Friederike Kienzle auf der FiL-Fachtagung: Psychotherapie wirkt am besten, wenn die Therapeutin selbst überzeugt ist von dem, was sie tut.
Ich finde, das lässt sich gut auf die Lerntherapie übertragen. Wenn ich selbst hinter dem stehe, was ich mache und ich Spaß daran habe, überträgt sich meine Begeisterung bis zu einem gewissen Grad auch auf meine Schülerinnen und Schüler. Vielleicht funktioniert Online-Lerntherapie für mich deshalb so gut: Es macht mir richtig Spaß!
Dem Fazit von Dr. Lorenz Huck aus dem Workshop kann ich mich daher nur anschließen:
„Gute Online-Lerntherapie ist zuerst und vor allem gute Lerntherapie!“
Wie stehst du zur Online-Lerntherapie? Ich bin gespannt auf deinen Kommentar!
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Liebe Sabine, danke für deinen Einblick.
Ich arbeite auch super gerne online.
Ich habe schon lange vor Corona viele Familien in anderen Ländern begleitet, mit Belgien fing es an, dann kamen Familien aus Peking, Kenia und der Schweiz und es funktioniert ganz wunderbar. Online kann man soviel bewirken und auch Schüler emotional stärken.
Auch eine Mischung aus Online und Präsenz finde ich so wertvoll, gerade wenn Familien nicht immer die weite Fahrt zu mir aufnehmen können.
Hier noch ein Tool-Tipp; In meiner Online-Lerntherapie nutze gerne die digitale Schüttelbox und auch das digitale Dienes-Material. https://gweax.de/tools/
Lieben Gruß
Susanne
Ja, ich mag diese Art des Arbeitens sehr gerne. Danke für den Tool-Tipp!
Liebe Grüße
Sabine
Liebe Sabine,
da schreibst du etwas ganz Wichtiges: Die Therapeutin muss überzeugt von ihrer Vorgehensweise sein – und wie du so schön sagst – sie muss auch Spaß daran haben.
Ich habe während der Corona-Zeit die Online-Therapie als Notlösung ausprobiert und kann bestätigen: Ja, sie funktioniert. Fachlich, technisch, methodisch – alles machbar. Aber: Obwohl ich grundsätzlich gerne am Computer arbeite, macht mir die therapeutische Arbeit am Bildschirm keinen richtigen Spaß.
Mir fehlt der direkte Kontakt – das gemeinsame Lachen, das echte Abklatschen nach einem Erfolg oder eine kurze tröstende Umarmung, wenn’s nötig ist.
Umso wichtiger ist es, dass Kolleginnen wie du an der Online-Therapie Freude haben. Denn so können wichtige Lücken geschlossen werden – nicht jede Familie hat einen freien Therapieplatz gleich um die Ecke.
Hallo Ute,
genau das ist es: Ich muss als Person voll „dahinter“ stehen und mich wohl fühlen, dann springt auch der Funke über. Wie gut, dass so jeder seine Nische finden kann!
Liebe Grüße
Sabine