Gerade lese ich sie wieder, die ganz vielen Social Media Posts von Lehrkräften, die jetzt zu den Sommerferien aus dem Schuldienst ausgeschieden sind. Es werden gefühlt immer mehr oder sie kommen in meiner „Blase“ einfach gehäuft vor. Alle Posts sind sich sehr ähnlich: Sie beschreiben, dass die Personen ihren Beruf eigentlich sehr gern machen bzw. lange Zeit sehr gern gemacht haben, die Arbeit mit den Schülern toll finden und trotzdem glücklich sind, nicht mehr in diesem System arbeiten zu müssen. Genau so erging es mir auch vor nun 9 Jahren. „Das macht man doch nicht!“, musste ich mir von einigen (älteren) Kolleginnen anhören. Dennoch: Im Juli 2016 bin ich auf eigenen Wunsch aus dem Beamtenverhältnis (ja, auf Lebzeit!) entlassen worden und ich bereue es keine Sekunde!
Rückblick: Der Weg in den Lehrberuf
Ich wollte schon immer Lehrerin werden (Was ich früher einmal werden wollte). Das Unterrichten, das kreative Herstellen von Materialien und das Vorbereiten von besonders schönen Stunden oder Projekten haben mir schon immer Spaß gemacht. Es gibt nichts Schöneres als eine gelungene Stunde, bei der alle Schüler Spaß hatten, aus echtem Interesse mitgearbeitet haben und am Ende etwas Wichtiges gelernt haben.
Ich erinnere mich da an eine Gruppenarbeit in der 8. Klasse, als es um das Thema „Umrechnen von Maßeinheiten“ ging. Wir planten gemeinsam eine Happy Hour, in der die Gruppen für ihre Mitschüler Saftcocktails mixen sollten. Jede Gruppe suchte sich ein tolles Rezept aus und rechnete dann aus, wie viel ich von welchen Zutaten einkaufen sollte. Und ich habe genau das gekauft, was mir die Schüler aufgetragen hatten! Am Ende hatten sie eine wichtige Lektion gelernt und wir konnten in der Klasse noch mehrere Wochen Saft trinken – sie hatten sich beim Umrechnen deutlich verrechnet! So bleiben Lerninhalte im Gedächtnis!
Mit den Jahren und den Wechseln über verschiedene Bundesländer hinweg änderte sich jedoch die Situation:
Das Erfüllen von überfrachteten Lehrplänen, Einhalten von schulinternen Absprachen (wenn Projekte, dann bitte in allen Klassen des Jahrgangs gleich, damit keiner benachteiligt wird), fragwürdige Vorgaben (bis zum 2. Halbjahr in Klasse 3, müssen alle Schüler mit Bleistift in ihre Arbeitshefte schreiben) und zusätzliche Belastungen durch fehlende materielle Ressourcen (in welchem Betrieb müssen sich die Mitarbeiter ihr Arbeitsmaterial selbst kaufen und mitbringen?) und Lehrkräftemangel (ach, du musst heute mal wieder Doppelführung machen und den ganzen Tag zwei Klassen betreuen) führten dazu, dass mir das Unterrichten immer weniger Freude machte.
Der Bruch: Warum ich ausgestiegen bin
Die Belastungen wurden über die Jahre immer größer. Doppelführungen waren im Herbst / Winter der Normalzustand. In einem Schuljahr hatte ich sogar eine doppelte Klassenführung, weil einfach keine Lehrkraft da war, die die andere Klasse hätte übernehmen können. Der bürokratische Aufwand verdoppelte sich für mich, während meine individuelle Stärken ignoriert wurden. Es ging nur noch darum, Löcher zu stopfen und die Unterrichtsversorgung irgendwie aufrechtzuerhalten.
Obwohl ich mich in den Bereichen Legasthenie und Dyskalkulie weitergebildet hatte, bekam ich keine einzige Förderstunde. Schließlich wurde ich in Hauptfächern und Klassenleitungen gebraucht. Die wenigen Förderstunden fielen ohnehin aus, weil die eingeteilten Lehrkräfte für Vertretungen abgezogen wurden. Individuelle Förderung? Fehlanzeige.
Dann kam der Zusammenbruch: Eine Lungenentzündung, die nicht besser wurde, bis die Ärzte eine Herzmuskelentzündung diagnostizierten. Wochenlang Krankenhaus und Reha – und selbst dort rief eine Kollegin an, weil sie dringend meine Unterrichtsvorbereitungen brauchte (weil ich die Kinder doch viel besser kennen würde als sie). Ich war sprachlos.
Die Wiedereingliederung scheiterte am ersten Gespräch mit der Schulleitung: Unsere Vorstellungen waren doch sehr unterschiedlich. In einem weiteren Gespräch mit meinem Arzt fiel dann der Satz, der alles veränderte: „Sind Sie sicher, dass Sie nicht auch außerhalb der Schule Kindern helfen können?“ BÄM! Dieser Gedanke begleitete mich schon lange. Im Studium hatte mich eine Kommilitonin beeindruckt, die ein eigenes Nachhilfeinstitut gegründet hatte. Mir fehlte aber immer der Mut, mich tatsächlich aus dem sicheren Beamtenverhältnis herauszuwagen. Doch jetzt war der Punkt erreicht. Wenn selbst mein Arzt mir riet mich diesem Systemstress nicht mehr auszusetzen – warum sollte ich nicht endlich selbstbestimmt arbeiten und Schüler so unterstützen, wie ich es für richtig hielt?
Der Mut: Gegen Sicherheit, für Selbstbestimmung
Ich wollte nicht mehr nur funktionieren, sondern wirksam sein. Ich überlegte also noch einmal, sprach mit Freunden und natürlich meinem Mann und dann war sie da, die Entscheidung zu kündigen. Und das fühlte sich so befreiend an!
Natürlich kamen sie von überall, die Stimmen und Meinungen über das ach so sichere Beamtenverhältnis: „Denk doch mal an deine Rente! Das ist ein sicherer Arbeitsplatz.“, „Das ist die absolut falsche Entscheidung!“ Für mich war es aber genau richtig. Der Tag, an dem ich meine Bitte um Entlassung aus dem Beamtenverhältnis in der Schule abgegeben habe, war ein Befreiungsschlag.
Natürlich hatte ich Zweifel, ob mein Konzept mit der außerschulischen Förderung aufgehen würde, ich tatsächlich genug Schüler für die Förderung finden und damit Geld verdienen würde. Aber ich hatte auch die Sicherheit, wieder zurückkommen zu können. Ich würde bevorzugt wieder als Lehrkraft eingestellt werden, da ich mich schon einmal bewährt hatte und mit dem weiter voranschreitenden Lehrermangel verschaffte mir das ein sicheres Polster.
Der Weg danach: Ich bin nicht raus, ich bin neu gestartet
Meine Kündigung stellet nicht das Ende meiner Arbeit mit Schülern dar, sondern der Beginn einer neuen Art, sie zu begleiten. Plötzlich war da Raum – für Ideen, für Kreativität, für eine Arbeit, die sich nicht nach Pflichtstunden und (unsinnigen) Vorschriften, sondern nach Wirkung und Leidenschaft richtete. Heute, als Lerntherapeutin, erlebe ich jeden Tag, was es bedeutet, nicht mehr nur in einem System zu funktionieren, sondern für Kinder und ihre Bedürfnisse da zu sein. Der Schritt aus dem Schuldienst heraus war kein Rausgehen, sondern ein Hineingehen in eine Welt, in der ich selbst bestimmen darf, wie ich wirke und in der ich endlich das tun kann, was ich immer wollte: individuell fördern, statt nur vorzugeben.
Heute entscheide ich – natürlich wissenschaftlich fundiert, schließlich habe ich noch meinen Master in Lerntherapie gemacht – wie ich mit meinen Schülern arbeiten möchte. Ich kann für jedes Kind individuell schauen, was es gerade wirklich braucht. Manchmal geht es da gar nicht um das Lesen, Schreiben oder Rechnen lernen. Manchmal sind es ganz andere Dinge, die das Kind oder den Jugendlichen am Lernen hindern. Weil ich das ganze Kind und sein Umfeld im Blick habe, kann ich gezielt ansetzen und das macht den Unterschied. Warum ich meine Arbeit als Lerntherapeutin so liebe, habe ich einem meiner ersten Blogartikel zusammengefasst.
Die Wahrheit: Es war kein einfacher Weg – aber genau der richtige
Natürlich war der Weg in die Selbstständigkeit nicht immer einfach. Gerade zu Beginn, aber auch später immer wieder, waren viele bürokratische Hürden zu bewältigen. Ich erinnere mich noch an den 10-seitigen Fragebogen des Finanzamtes – da hätte ich fast schon wieder aufgegeben. Den Bogen habe ich erstmal zur Seite gelegt und erst am nächsten Tag angefangen auszufüllen. Schritt für Schritt – wäre doch gelacht, wenn ich mich von so etwas hätte unterkriegen lassen. Das ist so ein bisschen mein Motto geblieben. Immer, wenn mal wieder so ein bürokratischer Mist ins Haus flatterte: Schritt für Schritt habe ich es bisher immer geschafft.
Hilfreich ist da ein Netzwerk aus Kolleginnen – das mir zu Beginn leider komplett fehlte. Heute kann ich auf viele Kontakte zurückgreifen, die ich immer wieder um Rat fragen kann. Hilfe erhalte ich in meinem Lerntherapeutennetzwerk nicht nur in bürokratischen Fragen, sei es, wenn es um die Umsatzsteuerbefreiung geht oder Fragen an den Steuerberater. Auch auf Fragen, die in der täglichen Arbeit mit meinen Schülern auftauchen, erhalte ich kurzfristig von meinen tollen Kolleginnen aus ganz Deutschland und Österreich wunderbare Unterstützung. Auch wenn es so scheint, arbeite ich als Lerntherapeutin also keinesfalls alleine.
Jetzt habe ich die Freiheit, meine Arbeit so zu gestalten, wie es für mich gut passt. Ich kann mir meine Arbeitsumgebung so gestalten, wie ich will und die Materialien verwenden, die ich für sinnvoll halte. Ich kann endlich wieder wirksam sein – ein Gefühl, das ich im Schuldienst vermisst habe. Auch wenn die Bürokratie manchmal herausfordernd ist, ist das doch alles schaffbar, besonders dann, wenn man über ein unterstützendes Netzwerk verfügt.
Fazit: Warum ich keine Sekunde bereue
Ich bin vor 9 Jahren ausgestiegen – das war mutig, aber nicht verrückt. Für mich war das ein notwendiger Schritt, weil ich spürte: Ich kann mehr bewirken, wenn ich selbst bestimme, wie. Heute fördere ich Kinder und Jugendliche so, wie ich es immer wollte – individuell und ohne Systemzwänge.
Auch um meine Rente brauche ich mir keine Sorgen machen, wie mir einige ehemalige Kolleginnen prophezeiten. Der Bedarf an gut ausgebildeten Lerntherapeutinnen, die ihre Schüler ganz genau im Blick haben und entsprechend fördern können, ist enorm. In den letzten Jahren habe ich sogar das Gefühl, dass die Nachfrage immer größer wird – immer häufiger muss ich Eltern enttäuschen, weil ich einfach keine freien Plätze habe. Kündige ich in meinem Newsletter mal einen freien Platz an, dann ist dieser ruckzuck vergeben. Rekord waren einmal 3 Minuten! Da hatte ich samstags nachmittags einen Newsletter verschickt und während ich noch vor meinem PC saß, kam eine Mail „Wir nehmen den Platz, wenn er noch zu haben ist.“ Über meine anfänglichen Bedenken – würde mein Konzept aufgehen und ich überhaupt genügend Schüler finden – kann ich daher heute nur lächeln.
Mein Weg zeigt: Es gibt Alternativen – auch zum Schuldienst. Ja, der Schritt, das gesicherte System zu verlassen, braucht Mut. Aber was ist die Alternative? Weiterzufunktionieren, obwohl man spürt: Es könnte anders viel besser sein?
Wenn du dich immer wieder fragst, ob ein ähnlicher Schritt für dich möglich wäre, kann ich dir sagen: Du bist nicht allein. Ich kenne die Zweifel, die Nächte voller „Was-wenn“-Fragen. Aber ich kenne auch das Gefühl, endlich wirklich wirksam zu sein.
Vielleicht überlegst du, ob der Weg als Lerntherapeutin für dich der richtige sein könnte?
Dann biete ich dir in meinem Coaching für (angehende) Lerntherapeuten die Möglichkeit, alle deine Fragen zu stellen. Lass uns gemeinsam deine Situation anschauen, reflektieren und einen möglichen Weg für dich entwickeln. Vielleicht ist dein „Befreiungsschlag“ näher, als du denkst.

Coaching für Lerntherapeuten
…und die, die es werden möchten.
In meinem 1:1-Coaching unterstütze ich dich genau da, wo du gerade stehst: Für ein gutes Gefühl in der Praxis.
Dieser Artikel ist im Rahmen der Blogdekade der TCS im August 2025 entstanden. Ziel ist es, 10 Blogartikel in 10 Tagen zu veröffentlichen. Ein sehr hoch gestecktes Ziel, das ich für mich ein bisschen reduziert habe: Ich will 5 neue Artikel schreiben und 5 alte Artikel neu überarbeiten.
Update: Tatsächlich habe ich 4 neue Artikel und 4 Überarbeitungen geschafft. YEAH!
Das kann ich komplett bestätigen. Ich war allerdings nicht verbeamtet und bin erst später als Quereinsteigerin im Schuldienst erschienen. Und ich arbeite nicht als Lerntherapeutin, sondern als Nachhilfelehrerin, habe inzwischen auch beschlossen, daran nichts zu ändern.
Wie du sagst, die Nachfrage ist groß, ich habe keine Probleme meinen Terminkalender zu befüllen. Und immer, wenn ich mit ehemaligen Kolleginnen spreche, weiß ich: Die Kündigung war für mich persönlich die richtige Entscheidung.
Dieses Land braucht gute Lehrkräfte und ich muss mir klar sein, dass ich dem System an dieser Stelle nicht mehr zur Verfügung stehe. Allerdings wäre ich ganz deutlich gesagt, mit der Zeit kaputt gegangen, und davon hätte auch niemand etwas gehabt.
Ich freue mich für dich, dass auch bei dir im Rückblick die Entscheidung genau die richtige war!
Liebe Grüße
Angela
Ja, das Land braucht gute Lehrer! Aber wenn das System einfach nicht gut ist, braucht das Land auch mindestens genau so viele gute Nachhilfelehrer oder Lerntherapeuten 😉 Wie schön, dass wir unsere Nische gefunden haben! Ganz viel Erfolg mit deinen Nachhilfeschülern!
Liebe Grüße
Sabine