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Online-Lerntherapie: 5 grundsätzliche Fragen und Antworten aus der Praxis

Sabine Landua in ihrer Lerntherapiepraxis hält ein Schild. Text: Online-Lerntherapie 5 Fragen

Viele Lerntherapeuten stehen der Online-Lerntherapie skeptisch gegenüber und ja, Online-Lerntherapie hat ihre Grenzen: Nicht jedes Kind arbeitet gerne am Bildschirm, nicht jede Methode lässt sich 1:1 übertragen, und manche nonverbalen Signale gehen eventuell verloren. Aber auch die klassische Präsenz-Lerntherapie hat Limitationen, über die wir oft hinwegsehen: zu kleine Räume ohne Bewegungsfreiheit, lange Anfahrtswege für Eltern, die den Nachmittag mit Fahrdiensten verbringen und Kinder, die wenig motiviert sind, lange im Auto zu sitzen, um zur Lerntherapie zu fahren.

Für mich als Lerntherapeutin stellt sich damit die entscheidende Frage: Sehe ich nur das, was nicht geht oder richte ich meinen Blick auf das, was möglich ist? Denn für viele Familien gibt es keine Alternative: Online Lerntherapie oder gar keine Lerntherapie.

Dieser Artikel will keine Debatte über „Online vs. Präsenz“ führen. Sondern eine Einladung sein, Vorbehalte zu hinterfragen und zu erkennen, dass Online-Lerntherapie für viele Schüler nicht nur eine Notlösung, sondern eine echte Chance ist. Fünf grundsätzliche Fragen (und klare Antworten) sollen zeigen, warum es sich lohnt, offen an Online-Lerntherapie heranzugehen.

Wie baue ich eine vertrauensvolle Beziehung auf, wenn ich das Kind nicht „live“ erlebe?

Für mich macht es keinen Unterschied, ob das Kind oder der Jugendliche in Präsenz bei mir ist oder online – beides ist für mich „live“. Den Beziehungsaufbau gestalte ich daher identisch: 

Vor Beginn der Lerntherapie gibt es ein Kennenlerntreffen, in dem ich mich vorstelle und erkläre, was Lerntherapie bedeutet. Dazu verwende ich gerne die Lerntherapie-Entdeckerkiste. Wird der Schüler online mit mir arbeiten, stelle ich außerdem das virtuelle Klassenzimmer vor, in dem wir arbeiten werden. Am Ende des Kennenlernens zeige ich oft eine Auswahl meiner Spiele und wir spielen eine kurze Runde gemeinsam. 

Nach dem Kennenlernen entscheiden wir dann gemeinsam, ob wir in Zukunft gemeinsam arbeiten wollen und ob das gewählte Setting (Präsenz oder online) passt. In den folgenden Stunden lernen wir uns dann durch verschiedene Spiele und Gespräche weiter kennen. Zentral ist hier das Thema „Stärken“, denn viele Schüler starten mit einem niedrigen Selbstwertgefühl in die Lerntherapie. Jedes Kind und jeder Jugendliche hat etwas, mit dem er sich besonders gut auskennt. In der Regel sind das Bereiche, in denen ich mich nicht auskenne, und so kann das Kind oder der Jugendliche zum Experten werden und mir etwas Neues erklären. Ein tolles Erlebnis und ausreichend Gesprächsanlässe für die folgenden Stunden.

Online-Lerntherapie funktioniert doch nicht bei Kindern, die Bewegung brauchen, oder?

Eine Lerntherapieeinheit dauert 45 Minuten. In der Regel schaffen das alle Kinder und Jugendlichen gut, denn dieser Rhythmus ist ihnen aus der Schule bekannt. Natürlich kann Bewegung in die Lerntherapie in Präsenz besser integriert werden, aber auch online ist Abwechslung möglich

Mit meinen Schülern thematisiere ich regelmäßig das Thema „Pausen“ und wie diese gestaltet werden können. Sie wissen also, dass es wichtig ist, beim Lernen kurze Pausen einzulegen, um aufnahmefähig zu bleiben. Auch in der Lerntherapie machen wir daher regelmäßig Mini-Pausen mit kurzen Bewegungsaufgaben. Meine Schüler haben z.B. einen kleinen „Wuschelball“ den sie dazu nutzen können. Meine Schüler üben auch, sich selbst zu beobachten und einzuschätzen, wie sie sich gerade fühlen: Sind sie müde oder vielleicht gerade zappelig, bauen wir Übungen ein, die aktivierend oder beruhigend wirken. 

Bei Spielen übernehmen meine Schüler in der Regel das Würfeln, d.h. sie sind damit beschäftigt, für sich, aber auch für mich zu würfeln. In Aktion bleiben sie auch, wenn sie zu Hause mit Materialien hantieren, die zur Veranschaulichung der entsprechenden Aufgabe hilfreich sind. 

Eltern sagen oft: „Mein Kind lässt sich doch nur ablenken!“ – wie vermeide ich das?

Ich habe ganz gegenteilige Erfahrungen gemacht: Viele Schüler mit ADHS konzentrieren sich gerade bei der Arbeit am Bildschirm besonders gut. Sie sind motiviert und arbeiten gerne mit dem PC. Nutzt das Kind oder der Jugendliche zusätzlich Kopfhörer, blendet das Umgebungsgeräusche aus und führt dazu, dass die Schüler sehr fokussiert bleiben. Ein ruhiger Arbeitsplatz, ohne Geschwister oder andere Familienmitglieder, die für Ablenkung sorgen, ist natürlich Voraussetzung.

Das Argument, Jugendliche würden nebenbei Spiele spielen oder Nachrichten schreiben, was ich aus der Ferne nicht verhindern könnte, ist für mich kein Online-Problem, sondern ein Beziehungsproblem. Entscheiden sich Kinder und Jugendliche dafür, mit mir zu arbeiten, gehe ich davon aus, dass sie nicht nebenbei spielen. Außerdem gelten klare Absprachen, z.B. ist das Handy nicht in Reichweite oder der Fokus „nicht stören“ wird zu Beginn der Lerntherapie aktiviert. 

Ablenkung entsteht häufig dann, wenn wir beginnen uns zu langweilen. Gestalte ich die Lerntherapie entsprechend abwechslungsreich, bleibt gar keine Zeit, nach Ablenkungsmöglichkeiten zu suchen.

Ist Online-Lerntherapie wirklich gleichwertig – oder nur die „Notlösung“?

Für mich sind Online-Lerntherapie und Lerntherapie in Präsenz als gleichwertig anzusehen. Online-Lerntherapie ist weder besser noch schlechter, sondern einfach anders organisiert. Entscheidend für eine gute Lerntherapie ist nicht das Setting, sondern die Qualität der Begleitung und die Passung zum Kind. Studien zeigen: Die Wirksamkeit hängt vor allem von der Beziehung und der Methodik ab – nicht davon, ob man sich gegenüber sitzt oder über einen Bildschirm verbindet (Verwimp et al., 2024Hattie, 2009)

Gleichzeitig bietet Online-Lerntherapie einzigartige Vorteile: Sie ist ortsunabhängig, spart Fahrzeiten und lässt sich flexibel in den Alltag integrieren. So können z.B. Zeitslots genutzt werden, die sonst nicht besetzt werden könnten (frühe Zeiten oder später am Abend). Für Familien in ländlichen Regionen oder im Ausland ist sie oft die einzige Möglichkeit, überhaupt Therapie zu erhalten. 

Natürlich hat auch Online-Lerntherapie auch ihre Grenzen. Aber statt sie als „Notlösung“ abzutun, sollten wir fragen: Für wen ist sie die beste Lösung? Denn für viele Schüler ist sie nicht zweitklassig, sondern der Schlüssel zu erfolgreichem Lernen.

Was mache ich, wenn die Technik versagt oder Eltern/Kind keine Kamera nutzen wollen?

Die Nutzung der Kamera ist für mich Voraussetzung. Wenn jemand die Kamera nicht nutzen möchte, ist keine Online-Lerntherapie möglich – das ist allerdings bei mir noch nie vorgekommen. 

Dass die Technik ausfällt, kommt allerdings immer mal wieder vor. Hier gilt es, kreative Lösungen zu finden. Fällt der Ton aus, nutze ich das normale Telefon, damit wir miteinander sprechen können. Fällt die Videokamera am PC aus, kann sich der Schüler zusätzlich mit einem Handy einloggen, um das Bild zu übertragen. Mit einer Schülerin in Norwegen war ich während der Stunde z.B. extern via FaceTime verbunden. Oft hilft auch das Einloggen mit einem anderen Browser, um technische Schwierigkeiten zu beheben. 

Fällt dagegen die gewählte Konferenzplattform aus, sollte eine Alternative zur Verfügung stehen. Ist diese seitens des Schülers nicht nutzbar, schaffe ich es auch, eine Stunde nur mit Papiermaterialien und Telefon sinnvoll zu gestalten. Dann heißt es: ganz viel sprechen – denn der Schüler muss mir genau erklären, was er gerade tut bzw. zu welchem Ergebnis er gekommen ist.

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Zu diesem Artikel gibt es in den nächsten Tagen noch eine Fortsetzung: 5 Fragen zur praktischen Umsetzung der Online-Lerntherapie

Dieser Artikel ist im Rahmen der Blogdekade der TCS im August 2025 entstanden. Ziel ist es, 10 Blogartikel in 10 Tagen zu veröffentlichen. Ein sehr hoch gestecktes Ziel, das ich für mich ein bisschen reduziert habe: Ich will 5 neue Artikel schreiben und 5 alte Artikel neu überarbeiten.
Update: Tatsächlich habe ich 4 neue Artikel und 4 Überarbeitungen geschafft. YEAH!

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6 Kommentare

  1. Pingback:Lerntherapie online- im Gespräch mit meiner Schülerin Hanna

  2. Anke Cras

    Liebe Sabine!
    Ein toller Artikel, der viele Facetten von Präsenz und Online beleuchtet. Ich sehe die Online-Lerntherapie auch als Chance, gerade für Menschen, die nicht so mobil sind. Wie du schreibst, entweder Online oder gar nicht – dann doch lieber online.
    Liebe Grüße

    • Sabine Landua

      Liebe Anke,
      das sehe ich auch so. Wir gehen immer davon aus, dass Menschen mobil sind. Beim uns auf dem Land ist das aber etwas schwieriger und da ist Online eine sehr gute Alternative 😉

      Liebe Grüße!

  3. Pingback:KW34/2025: Alle TCS-Blogartikel - The Content Society

  4. Alexandra

    Liebe Sabine,
    Ich persönlich finde es sehr toll, daß es so etwas online gibt! Gerade wenn ich zusätzlich kleinere Kinder habe die ja für die Zeit noch versorgt werden müssen ist so eine Möglichkeit Gold wert. Ich bin dafür das es mehr Onlineangebote gibt, vor allem wenn es sich um Hilfen bei Kindern handelt.

    • Sabine Landua

      Liebe Alexandra,
      ich hätte nie gedacht, dass Online-Lerntherapie so gut funktioniert! In einer Diskussion im Jahr vor Corona waren sich meine Kolleginnen und ich ganz sicher, dass das für unsere Schüler keine Option wäre. Und jetzt arbeite ich mit der Mehrheit meiner Schüler nur noch online! So toll, dass es diese Möglichkeit gibt!
      Liebe Grüße!

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